Die beste Entschuldigung für Verwandte
Von Polly Adler
Die beste Entschuldigung für Verwandte
über die Tücken der Freundschaft
Freundschaft ist kein Ruhekissen“ – über diesen Satz bin ich unlängst in einem Roman gestolpert. Und dachte gleich an George Bernhard Shaw und sein Bonmotscherl: „Freunde sind Gottes Entschuldigung für Verwandte.“ Und daran, dass man ohne Freunde sehr alt aussähe. Bei niemandem sonst kann man so ungestraft sudern. Seinen emotionalen Emergency-Room eröffnen. Und bekommt im Bestfall ohne viel Aufhebens eine geheizte Klagemauer mit eiskaltem Gin mit ein bisschen Tonic serviert. Manchmal kennt man einander schon so lange, dass keinerlei Erklärungsbedarf für irgendetwas besteht. Das Pattex ist die gemeinsame Biografie: der erste Liebeskummer, über den man sich gemeinsam gehievt hat, die jeweils so gemeinen Eltern, die man mit vereinten Kräften ausgetrickst hat, den ersten alkoholbedingten Retourhunger, den man miteinander durchgestanden hat. Natürlich muss man Freunde manchmal hassen, weil einen nur die mit dem Echtheits-Gütesiegel auch mit der Wahrheit piesacken. Neuzugänge sind spärlich, aber umso handverlesener. Das wichtigste Kriterium: Schmäh, dicht gefolgt von Empathie oder (was für ein altmodischer, aber schöner Begriff) Herzensbildung. Unterwegs verliert man auch immer wieder Freunde. Und setzt oft radikale Schnitte. Besonders wenn manche Freunde die Verbindung wie ein sich automatisch verlängerndes Abonnement betrachten, das die Jahre überdauert, ohne dass man auch nur ab und an ein winziges Amuse-Gueule Zuwendung zu reichen braucht. Ist nämlich wirklich kein Ruhekissen, so eine Freundschaft, sondern auch Arbeit. Besonders im Katastrophenschutz. Und wenn die Geben-Nehmen-Balance in beunruhigende Dauerschieflage gerät, sollte man laufen. Oder ziehen lassen. Ist wie jede Trennung schmerzhaft, aber am Ende des Tages tut nichts so höllisch weh wie verschleppte Lieblosigkeit. In der Liebe und auch bei ihrer großen Schwester, der Freundschaft.
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