Sorge um die "kulturelle Ausnahme"
Von Georg Leyrer
Derzeit würde Kultur lieber nicht auffallen.
über Unruhe wegen eines transatlantischen Handelsabkommens.
Was hat ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU mit Wiener Kellertheatern und der literarischen Vielfalt im deutschsprachigen Raum zu tun?
Mehr, als vielen Künstlern lieb ist.
Derzeit wird ein neuer Anlauf für einen transatlantischen Wirtschaftsraum unternommen: Die USA und die EU wollen ohne Zölle und Einschränkungen miteinander Handel treiben. Dafür gibt es Verhandlungen, die ein weites Themenfeld von Sicherheitsbestimmungen bis zu Agrarförderungen umspannen - unter anderem, und leicht überraschend, auch die Kultur.
Denn interessanterweise ist einer der größten Unterschiede zwischen den beiden Partnern die Auffassung darüber, wie Kultur entstehen und finanziert werden soll. In Europa wird der Kultur - wie auch Medien oder Sprachminderheiten - Sonderstatus zugesprochen: Gewisse Formen, die am freien Markt nicht überlebensfähig wären, werden gefördert. Diese "kulturelle Ausnahme" vom freien Markt führt u.a. zu Museumsförderung, Theatersubvention und Buchpreisbindung.
Und zu heftiger und andauernder Kritik vieler Kulturferner, die nicht Aufführungen oder Ausstellungen bezahlen wollen, die sie nicht besuchen.
Hollywoodmentalität
In den USA hingegen herrscht weitestgehend die Hollywoodmentalität: Kultur ist, was genügend Leuten gefällt, um sich zumindest selbst zu finanzieren (oder im Idealfall Geld zu bringen). Wobei gewisse Formen der Kultur natürlich auch in den USA nicht nur durch den Konsumenten finanziert, sondern hoch gefördert werden - jedoch von Unternehmen und Privatpersonen, und das zumeist (auch) aus steuerlichen Gründen. Klarer Nachteil: Kulturförderung wird hier den Geschmacks- oder Verkaufsinteressen der Förderer unterworfen. Der Staat ist im Idealfall geschmacksneutral, der reiche US-Mäzen ist dies zumeist nicht.
Jedenfalls sieht die USA, im Gegensatz zur EU, die Kultur als recht normales Handelsgut an. Künstler befürchten nun, dass dies auch Niederschlag im Freihandelsabkommen finden könnte - was die zarteren Blüten des Kulturlebens um ihre Förderung bringen könnte, nämlich die kleinen, avantgardistischen, publikumsfernen. Aber nicht nur: Keiner der jüngsten österreichischen Oscar-Erfolge wäre ohne gezielte Filmförderung möglich gewesen.
EU-Geld für US-Filme?
Das aber widerspricht dem freien Markt. Nun befürchten insbesondere deutsche und französische Kulturschaffende große Einschnitte. Die USA könnten demnach in den Verhandlungen darauf bestehen, bestehende Kulturförderungen als marktverzerrend zu streichen. Oder andersrum darauf pochen, dass etwa US-Filme die selben Chancen auf EU-Förderung haben wie europäische Filme.
Die EU entwarnt hier und verspricht, die Ausnahmeposition der Kultur nicht wegverhandeln zu lassen; die UNESCO wird als neutrale Instanz herbeigezogen (wenn auch die USA ausgerechnet das UNESCO-Abkommen zur Bewahrung der kulturellen Vielfalt nicht ratifiziert habe). Nicht zuletzt im Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wurde von der EU auch schon mehrmals festgestellt, dass Kulturförderung in gewissen Fällen dem freien Markt nicht widerspricht.
Am Dienstag hat sich Kommissionspräsident Manuel Barroso mit europäischen FIlmschaffenden getroffen, um deren Sorgen zu zerschlagen. Was nicht gelang: Barroso sei "gefährlich für die Kultur", sagte Regisseur Costa Gravas nach dem Treffen bei einer Pressekonferenz. Der französisch-rumänische Regisseur Radu Mihăileanu warnte dabei vor einer "kulturellen Invasion".
Am Freitag soll dem EU-Parlament nun eine italienische Petition von Kulturschaffenden vorgelegt werden, die sich gegen Einschnitte bei der Kulturförderung auf Grund des Freihandelsabkommens richtet.
Aufmerksamkeit
Doch hat die Kultur in den Verhandlungen zwischen den USA und der EU auch aus einem anderen Grund einen prominenteren Status, als ihr lieb sein dürfte: Mit dem Freihandelsabkommen will man sich auch auf den Umgang mit Verstößen gegen das Urheberrecht einigen. Die USA hat als Herkunftsland von großen Teilen der Massenkultur hier größeres Interesse an scharfen Strafen als die oftmals ohnehin über öffentliche Gelder finanzierten europäischen Künstler. Aber auch rechtliche Unterschiede, etwa darüber, wer an Kulturprodukten verdienen soll, machen den Kulturschaffenden sorgen.
Kultur will aufregen, erweitern, bewegen. Bei den jetzigen Verhandlungen aber wäre es ihr wohl lieber, nicht aufzufallen.