1. Etappe: Rotterdam - Brüssel, 223,5 km
Naja, 1. Etappe hätten wir also auch. Täte man die letzten paar Minuten wegschneiden, wär's ja eher höhepunktlos gewesen - da freut man sich schon, dass Ivan Basso Fussbekleidungsprobleme hatte und der Team-Mechaniker Schuhmacher spielten musste. Schuh aus, beim Fenster rein, repariert zurück und wieder anziehen, bei 40, 50 km/h. Nicht einmal die initiale Attacke war spektakulär. Der Chef wachelt mit der Fahne, 3 Leute ziehen los, und schon steht die erste Fluchtgruppe dieser Tour. Natürlich, eh klar, mit einem Euskaltel-Fahrer. Das Trikot mit dem baskischen Permanent-Maurerdekolleté wird sicher auch heuer wieder jeden Tag vorn zu sehen sein. Gewinnen tun sie ja sehr selten, aber Chapeau und Extrapunkte für Kampfgeist. Normalerweise kann das ja 50 km oder länger dauern, bis endlich alle zufrieden sind mit der Zusammenstellung der Gruppe des Tages. Welche Teams sind vertreten, wer hat wie viel Rückstand, wer war schon, wer will nochmal, und wenn Lance dabei ist und ihm einer nicht zu Gesicht steht, na dann sowieso Zwist und Zwietracht.
Heuer habe ich zum ersten Mal den offiziellen Kick-Off gesehen. Ganz schön offiziell: Marseillaise, Honoratioren, blank polierte Schere zur Banddurchschneidung. Man kann sich das eigentlich nicht vorstellen, nur probieren, was einem Fahrer da durch den Kopf geht: 3 Wochen, 20 Mal aufstehen und aufs Rad, wurscht ob Regen, Hitze, Wind, 3600 km lang. So viel kann passieren, so viel muss man leisten, auf jeden Tag kommt's an, und das jeden Tag aufs Neue. Egal, ob man dabei ist, um dem Chef zu dienen oder selbst der Chef ist, es muss furchtbar sein. Und dann die Stimmung: Menschenmassen, Ehrengäste, das Tour-Dorf vor dem Start, Siegerehrungen, Interviews, Dopingkontrollen mitten in der Nacht. Heute war es besonders arg: Tausende Leute neben der Strecke, über 100, 150 km lang haben die sicher keinen Millimeter Strassenrand gesehen. Holland und Belgien sind halt doch eine Spur spezieller, wenn's um Radsport geht. Der flandrische Löwe weht, die Fanclubs sind formiert, die Strassen bepinselt und die Stimmung gewaltig. Auch wenn man nur für den Bruchteil einer Sekunde ein dichtes Packl von bestrumpfhosten Radfahrern vorbeiheizen sieht.
Naja, und die Nervosität ist natürlich groß. Der obligate leinenlose Hund verirrte sich auf die Straße, und schon war der Sturz perfekt. Adam Hansen zuckelte auch so hinterher und war immer wieder beim Arzt, kam aber trotzdem ins Ziel. Man staune: Gebrochenes Schlüsselbein, und trotzdem weitergefahren. Auch einer der 3 Österreicher hat einen Stern gerissen, schuldig diesmal kein Tier, sondern eine Verkehrsinsel für Thomas Rohregger (anderswo las man, es war sein Teamchef, Linus Gerdemann). Man hörte aber noch nix, dürfte OK sein. Und dann die letzten beiden Kilometers: Man hat es schon fast kommen sehen - alle Sprinterzüge formiert und Positionskämpfe voll im Gang, 60, 65 km/h, scharfe Rechtskurve und schon lagen zwei der Favoriten für die Etappe auf der Straße: Cavendish und Freire. Nicht genug, Sturz 2, Feld reisst auseinander, und dann waren nur noch ein paar übrig, dann legt's auch noch Tyler Farrer hin, mit abgerissenem Schaltauge gleich (als Trost ging die heutige Werbepräsenzwertung eindeutig an ihn. Und, BTW, wer weiß, was es mit dieser seltsamen Tontaubenschieß-Werbung auf sich hat?). Petacchi dann mit einem gewaltigen Antritt, da kann selbst Thor nur noch hintennachhecheln. Sehr fein die Schienenkamera gleich hinter der Bande, die da mitgefahren ist, spektakulärst!
Morgen wird wohl der erste Bergtrikot-Träger ausgemacht, und ausserdem gibt's einen schönen Hügel vorm Ziel. Spannend, wer da wohl am besten drüberkommt. Auch wenn ich horribel danebenlag mit meiner Prophezeiung, ich probier's wieder: Massenankunft und Thor Hushovd, auch wenn er etwas lahm aussah gegen Alessandro heute.