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TikTokerin Toxische Pommes: "Mir wird Rassismus gegenüber Österreichern vorgeworfen"

Mit Tanzvideos ist Tiktok bekannt geworden. Mittlerweile spielt die App bei den großen Sozialen Medien mit. Facebook ist zu alt, Instagram zu fake. Rund 1,2 Millionen Menschen nutzen TikTok in Österreich. Die App, die mittels leicht selber zu produzierenden Videos funktioniert, scheint einen Nerv zu treffen - vor allem in der jüngeren Bevölkerung.

Ein regelrechter Star in der österreichischen TikTok-Szene ist „Toxische Pommes“. Tagsüber arbeitet Irina, so ihr echter Name, als Juristin, in ihrer Freizeit macht sie TikToks über Alltagsrassismus, die Balkan-Mentalität, Bobos vom Neubau oder nimmt mit Josef Hader die GIS auf den Arm. Über zwei Millionen Likes und fast 40.000 Abonnenten hat sie auf ihrem Kanal. 

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Bist du nicht zu alt für TikTok? Das soll ja nur etwas für Teenager sein?

Irina: Das dachte ich am Anfang auch. Weil von außen kam immer: Das schauen nur 13-Jährige. Aber mein Algorithmus ist mittlerweile so eingestellt, dass ich hauptsächlich Videos von Leuten in ihren 20ern und 30er sehe.

Wie kam „Toxische Pommes“ zustande?

Ich habe letztes Jahr meinen Job gekündigt und mir eine kleine Auszeit genommen. Es war aber Corona und ich bin aus einer toxischen Beziehung heraus. Außerdem liebe ich Pommes. 

TikTok also als Ablenkung vom Alltag?

Ich war vorher schon viel im Internet unterwegs. Und dann hat mir meine Freundin TikTok empfohlen, weil sie meinte, es heitert sie auf, wenn sie traurig ist. Nachdem ich Herzschmerz hatte, dachte ich mir: Ich brauche das auch. Im Sommer habe ich es mir das installiert. Davor kannte ich TikTok gar nicht.

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Wieso ist TikTok gerade so beliebt?

Ich glaube, es passt einfach sehr gut in unsere Zeit. Es sind sehr kurze Videos. Es ist wie YouTube, nur viel einfacher und fortgeschrittener. Die App lebt davon, dass sie kurzweilig ist und sehr schnell auf deine Präferenzen eingeht. Der Algorithmus ist einfach sehr gut. Deshalb macht es auch so süchtig.

Kann man TikTok als neue Kunstform bezeichnen?

Irgendwo sicher. Wenn Kabarett Kunst ist, dann ist das, was Satire-Accounts auf TikTok machen, auch Kunst. Ich wüsste nicht, was Satiriker*innen oder Comedians im Internet von jemandem unterscheidet, der auf einer Bühne steht und seine Witze erzählt. Es ist eben nur eine andere Plattform bzw. Bühne

Kann man mit TikTok Geld verdienen?

Mit der App selbst? Ja, theoretisch schon. Ich habe aber mit TikTok bisher um die drei Euro verdient. Das geht nur durch live Streams, wo dir Menschen etwas spenden können. Dann würde es auch noch den TikTok Creater Funds geben. Der existiert aber meines Wissens nach nur in Deutschland. Der beste Weg, um über TikTok wirklich Geld zu verdienen, sind Kooperationen.

Gehst du auch Kooperationen ein?

Selten. Bis jetzt habe ich mit ein paar Magazinen oder Vereinen kooperiert. Aber da ist dann eher so, dass ich gefragt werde, ob ich ein Video für sie mache. Was ich schon gemacht habe, ist eine Kooperation mit einem Kunstkurator, da habe ich dann Kultur-Videos für ihn auf meinem Kanal produziert.

Wie entstehen deine TikToks?

Wenn ich eine Videoidee habe, schreibe sie immer in ein paar Stichwörtern in meiner Notizapp zusammen. Die konkrete Umsetzung ergibt sich dann aber eigentlich im Prozess selbst. Ich überlege mir keine großen Konzepte, sondern gehe die Umsetzung eher spontan an. So funktioniert es für mich am besten.

Wie lange brauchst du für ein Video?

Ich habe die Regel, dass ein TikTok nicht länger als zehn Minuten in Anspruch nehmen darf. Das halte ich nicht immer ein, aber es ist mein Richtwert. Ich mache auch nur dann welche, wenn ich Lust dazu habe, weil ich mit Videos, die ich unter Druck produziere, meistens nicht zufrieden bin.

Wie würdest du das, was du auf TikTok machst, beschreiben?

Ich würde sagen, ich greife gesellschaftspolitische Themen auf eine humoristische Weise auf. Mein Anspruch ist nicht, die Welt zu verbessern, aber ich freue mich, wenn ich Menschen einen kurzen Augenblick zum Nachdenken bringen kann.

In deinen TikToks dreht es sich oft um Rassismus und Diskriminierung. Welche Rolle spielt dabei dein eigener Background?

Für meine Videos verwende ich hauptsächlich Erfahrungen, die ich selber gemacht habe. Meine Familie ist als ich eineinhalb Jahre alt war aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Österreich geflüchtet. Ich bin in Wiener Neustadt sehr konformistisch aufgewachsen. Ich war die klassische „gut integrierte“ Migrantin, die eigentlich ihre Identität geleugnet hat. Ich habe mich auch als Kind lange geschämt, mit meinen Eltern auf der Straße B/K/S zu reden. 

Wieso?

Ich habe komische Blicke gespürt oder gemerkt, dass Leute ihre Taschen näher an sich herangezogen haben. Außerdem wurden meine Eltern auch oft von autochthonen Österreicher*innen dafür kritisiert, dass sie mit mir nur B/K/S sprechen und nicht Deutsch.

Wie hat dich das geprägt?

Ich habe lange viele Dinge nicht infrage gestellt, aber schon immer gemerkt, dass ich nicht ganz dazu gehöre. Man sieht mir meinen Migrationshintergrund zwar nicht an, aber ich habe einen anderen Namen, eine andere Religion, wir feiern Weihnachten am "falschen Tag". Man bleibt irgendwo trotzdem immer die Ausländerin. Ich wollte als Kind immer Stefanie heißen und in einem Haus in Leobersdorf wohnen - mit einer „normalen“ österreichischen Familie.

Wann hat sich das geändert?

Mit 21 bin ich nach Wien gezogen und habe dort ein bisschen zu meinen Wurzeln und meiner Identität zurückgefunden. Mir ist wirklich ein Brocken von den Schultern gefallen, als ich von Wiener Neustadt weggezogen bin. Wien war schon sehr befreiend. Ich habe eine Gruppe an Freunden gefunden, die offenerer und diverser ist, wo das dann kein Thema mehr war. 

Glaubst du, dass es den Ex-Jugoslawen an Selbstvertrauen fehlt?

Ich glaube, es ist ein Geben und Nehmen zwischen der Mehrheitsbevölkerung und der Diaspora. Und ich habe nicht das Gefühl, dass Österreich eine große Willkommenskultur hat. Meine Eltern haben mir aus Angst oft Dinge gesagt wie „Sage nie deine politische Meinung“, „exponier dich nicht“, „sei still“, „passe dich an“ etc.

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Du verwendest oft das Wort “Jugo” auf TikTok. Darf man dich Jugo nennen?

Es kommt darauf an, wer es sagt und wie es gemeint ist. Wenn es Autochthone abfällig sagen, ist es nicht okay.  Da höre ich automatisch "Du scheiß Jugo". Es ist für mich wie “Tschusch”. Ich würde aber eigentlich eher Ex-Jugo sagen, weil es das Land einfach nicht mehr gibt. 

Hätten wir dieses Interview denn auch in B/K/S führen können?

Fix. Meine Eltern haben mit mir immer nur B/K/S gesprochen.

Wie definierst du die Balkan-Mentalität?

Von meiner Familie kann ich sagen, dass wir auf eine gewisse Art offener sind. Man ist schneller mal spontaner. Bei autochtonen Österreichern habe ich das Gefühl, dass man sich auf eine gewisse Art nie so nah kommt. Ich finde aber auch, dass die Jugos oft in vielerlei Hinsicht übertreiben. Es ist aber schwierig, es in Worte zu fassen. 

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Du thematisierst auch oft die toxischen Seiten der Balkan-Kultur in deinen Videos.

Ich bin die letzte, die sagt, dass die Balkan-Mentalität die tollste ist. Es ist sehr viel Toxizität dabei. Sehr verallgemeinernd gesagt: Vieles erscheint grenzenlos. Die Kinder wohnen ewig bei den Eltern. Es wird sehr viel geklammert. Auch Fatshaming ist am Balkan ein Problem. Das Aussehen wird sofort kommentiert. Ich kann zwar drüber lachen, weil man es so irgendwie auch verarbeitet, aber leiwand ist das alles nicht.

Wie nennst du es, wenn du "runterfährst". Fährst du dann nach Hause?

Nein, zu Hause sage ich nicht, weil hier mein Zuhause ist. Bei mir ist es auch schwierig, weil ich sowohl in Serbien und Montenegro als auch in Kroatien und dem Kosovo Familie habe. Wir haben immer eine Balkan-Tour gemacht und alle besucht. Ich würde sagen, ich fahre zu meiner Familie. 

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Wie findet deine Familie deine Videos?

Am Anfang fanden es sie es überhaupt nicht gut. Sie dachten, ich würde dadurch alles zunichtemachen, war wir aufgebaut haben, weil ich mich so exponiere. Jetzt findet mein Vater aber zum Beispiel meine Videos total lustig und schlägt mir sogar Ideen vor. 

Hätten Sie gedacht, dass du damit so erfolgreich wirst?

Nein (lacht). Aber ich freue mich, dass es jetzt so gut ankommt und denke mir: "Ich habe jetzt meine fünf Minuten Fame".

Kriegst du viel Hass ab?

Es hält sich in Grenzen. Wenn ich sage: "Österreicher sind so…”, dann wird mir Rassismus gegenüber Österreichern vorgeworfen oder Diskriminierung. Oder es heißt:  "Geh doch zurück, wenn es dir nicht gefällt!" Und Morddrohungen habe ich auch schon bekommen. Aber mit dem, was im Internet passiert, kann ich umgehen. Wobei ich schon sehr vorsichtig mit meinen Daten umgehe und schaue, dass ich kaum etwas bekannt gebe.

Könntest du dir vorstellen, TikTok hauptberuflich zu machen?

Ich bin gerne Juristin. Aber ich sage nie zu etwas nie. Ich werde bald auch Stand-Up-Comedy beim Politically Correct Comedy Club machen.

Zum Abschluss noch ein kleiner Integrationstest:

Bilderbuch oder Dino Merlin (Anm.: Ein aus Bosnien stammender Pop-Star am Balkan)?

Dino Merlin. Ich liebe ihn!

Neubau oder Ottakring?

Ottakring.

Schnitzel oder Ćevapi?

Ćevapi.