Pressesprecher Mohamed Ibrahim: “Nur die Polizei hat mir geantwortet”
Von Mirad Odobašić
Seit 2014 arbeitet Mohamed Ibrahim bei der Polizei Wien. Nach der zweijährigen Ausbildung war er zuerst Streifenpolizist in Hietzing, wechselte dann in den Kriminaldienst, wo er im Fremdenbereich arbeitete. Es folgte der Kurs zum Dienstführenden und heuer der Wechsel in die Pressestelle. Der 30-Jährige spricht darüber, wie er als Sohn ägyptischer Einwanderer den Sprung aus der steirischen Provinz in die Metropole schaffte, eine mühsame Jobsuche und seinen Glauben.
Mehr Platz: Haben Sie auch als Kind davon geträumt, ein Polizist zu sein?
Mohamed Ibrahim: Ja, das war schon ein großer Traum von mir. Ich habe nur nicht damit gerechnet, dass ich jemals bei der Polizei anfangen kann. Ich komme ja ursprünglich aus einem Dorf in der Steiermark, wo ich keinen Polizisten mit Migrationshintergrund kenne. Deswegen war es für mich nicht ganz vorstellbar. In Wien habe ich dann die Aufnahmeprüfung gemacht und es Gott sei Dank geschafft.
Dabei war die Polizei gar nicht Ihre erste Wahl …
Nach der Matura habe ich mich an der FH Wien für ein Journalismus-Studium beworben, wurde aber nicht aufgenommen. Danach habe ich kurz BWL studiert, es aber sein lassen. Erst dann bin ich zur Polizei gewechselt. Das Interesse am Journalismus war aber nach wie vor da. Anfang des laufenden Jahres habe ich dann bei uns in der Polizei die Ausschreibung zum Pressesprecher gesehen und mich beworben. Ich finde den Bereich sehr interessant. Ein positiver Aspekt ist auch, dass andere Menschen mit Migrationshintergrund die Möglichkeit sehen, sich beruflich zu entwickeln.
Wie sieht denn die Einwanderungsgeschichte der Familie Ibrahim aus?
Mein Vater und meine Mutter sind beide aus Ägypten. Sie sind vor ca. 35 Jahren nach Österreich gekommen. Warum genau nach Mürzzuschlag in der Steiermark? Das weiß ich bis heute noch nicht. Ich frage meinen Vater immer wieder: “Warum nicht Wien oder Graz?!”. Er habe wen gekannt in der Umgebung. 1991 kam ich dann in Bruck an der Mur auf die Welt und wuchs ich in Mürzzuschlag auf. Ich habe eigentlich auch einen steirischen Dialekt, versuche nur gerade Hochdeutsch mit Ihnen zu sprechen (lacht).
Wie war das Aufwachsen mit Ihrem Namen in diesem kleinen Ort?
Einen Vorteil hat es schon gehabt. Bei mir in der Klasse in der Volksschule und im Gymnasium waren vielleicht drei Personen mit Migrationshintergrund. Deswegen ist die Integration, glaube ich, leichtgefallen, weil ich halt nur von Österreichern umgeben war. Integration sollte freiwillig sein, aber ich hatte keinen anderen Ausweg. Ich hatte keine arabische Community in Mürzzuschlag, sondern bin mit Österreichern groß geworden. Dementsprechend bin ich auch gut integriert worden. Leicht war es nicht immer, weil ich ja doch etwas dunkler bin und diesen Namen trage. Den einen oder anderen rassistischen Vorfall hat es schon gegeben.
Was davon ist in Erinnerung haften geblieben?
Ich bin seit 2009 Fußball-Schiedsrichter in der steirischen Landesliga. Auf dem Fußballplatz, da habe ich mit Abstand die schlimmsten Beleidigungen erfahren – und zwar meistens noch vor dem Anpfiff! Einmal ist es fast bis zu einem Spielabbruch gekommen, nachdem zwei oder drei Zuschauer 50 Minuten durchgehend Affenlaute gemacht haben. Ich war der einzige “Dunklere” am Spielfeld. Ich habe Glück, dass ich mit einer sehr dicken Haut ausgestattet bin und mir so etwas nie wirklich nahegegangen.
Tatsächlich nicht?
Ganz egal war es mir nicht. Es ist schon schwierig, weil ich habe mir schon öfter gedacht: “Okay, du sprichst perfekt Deutsch, du hast eine gute Ausbildung und arbeitest bei der Polizei. Was willst du jetzt noch machen, damit du anerkannt bist?” Dennoch ist es nach wie vor so, dass besonders im Internet rassistisch motivierte Kommentare auftauchen.
Glauben Sie, dass es Leute gibt, die an diesem ewigen Bashing scheitern?
Ich bin sogar überzeugt davon, dass es viele Leute, die es einfach satthaben, sich ständig beweisen zu müssen. Ich habe Glück gehabt, dass meine Eltern immer vollkommen hinter mir gestanden sind. Zudem habe ich genug sehr gute österreichische Freunde, die mir auch immer die Sicherheit oder die Bestätigung gegeben haben, dass ich einer von ihnen bin. Ich gehöre dazu. Deswegen habe ich das gut vertragen. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich Leute, die nicht so ein Umfeld wie ich haben, alleingelassen fühlen.
Ist es eigentlich schon mal passiert, dass Herr Ibrahim am Arbeitsplatz ans Telefon gegangen ist und gebeten wurde, doch lieber einen Herrn Meier herbeizuholen?
(Lacht) Ich muss gestehen, so etwas ist mir noch nicht passiert. Soweit ich mich erinnern kann, wurde ich in Uniform immer als Polizist akzeptiert, unabhängig von meinem Aussehen.
In den Reihen der Polizei sehen wir immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund. Wie war es damals, als Sie eingestiegen sind?
Ich kann mich erinnern, wie ich 2014 in der Polizeischule gesessen bin - als einziger mit so einem Namen. Das hat sich mittlerweile verändert. Es ist auch vor allem in Wien notwendig. Man braucht hier Leute mit Migrationshintergrund, die halt ein Gefühl für die verschiedenen Kulturen haben und auch Sprachkenntnisse mitbringen.
Und davon haben Sie profitiert …
Man hat vor allem meine Arabischkenntnisse sehr positiv aufgenommen. Im Laufe meiner Karriere bei der Polizei haben mir meine Kenntnisse über den Islam oder überhaupt die arabische Kultur eigentlich nur geholfen. Das wird nicht überall geschätzt. Als Student habe ich mich schon mal umgeschaut wegen einem Job und habe 22 E-Mails mit Bewerbungen geschrieben. Ich habe nur eine E-Mail zurückbekommen und es war eine Absage. Ein Freund von mir, der wie ich dunkelhäutiger ist, aber den österreichischen Nachnamen seines Vaters trägt, in demselben Zeitraum an dieselben Stellen beworben, hat von allen zumindest eine Antwort bekommen. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass mein Name entscheidet, ob ich eine Antwort bekomme oder nicht. Ich habe mich zu dem Zeitpunkt ein bisschen aussichtslos am Arbeitsmarkt gefühlt. Nach dem abgebrochenen Studium habe ich mich bei der Polizei beworben und gegenüber anderen Bewerbern nie das Gefühl gehabt, dass ich benachteiligt bin. Ganz im Gegenteil.
Wie hoch ist der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund bei der Polizei?
Eine Statistik wird darüber nicht geführt, ich schätze aber, dass es mittlerweile zwischen 5 und 8 Prozent sein. Die meisten haben ihre Wurzeln am Balkan und der Türkei, ansonsten ist es eine bunte Mischung.
Sie sind ein praktizierender Moslem. Dürfen Sie auch in Ihrer Arbeitszeit beten?
Ich muss gestehen, ich selbst habe bisher nicht gefragt, ob ich während der Arbeitszeit beten darf. Von einem Kollegen weiß ich, dass er das sehr wohl machen darf. Natürlich muss er die Zeit danach einarbeiten.
Gibt es in der Polizeikantine eigentlich Halal-Essen?
(Lacht) Also du warst nicht gezwungen, Schweinefleisch zu essen. Es gibt immer genügend Auswahl.
Was isst denn Mohamed Ibrahim am liebsten?
Ich sage mal so: Ich liebe die österreichische Küche, aber genauso die arabische Küche. Wenn sie halt von Mama kommt.
Hat Mama Ibrahim eigentlich Angst um ihren Sohn gehabt, weil er sich für diesen Beruf entschieden hat?
Also die Mutter war von Anfang an dagegen. Sie hatte einfach Angst um mich. Und mein Vater: Ich weiß bis heute nicht, ob das ein Ansporn oder sein Ernst war, aber er hat gemeint, die nehmen mich sowieso nicht und hat dabei gelacht. Damit hat er mich nur motiviert, dass ich es umso mehr wollte.
Wie oft sind Sie eigentlich in Ihrem Leben in Ägypten gewesen?
Bis zum 25. Lebensjahr jedes Jahr. Seitdem ich einen Job habe im Zweijahresrhythmus.
Können Sie sich vorstellen, eines Tages eine Nicht-Muslimin zu heiraten?
Ja, absolut. Die Religion stellt eine Bereicherung in meinem Leben dar. Eine Ehe mit einer Nicht-Muslimin ist mit dem Glauben vereinbar und ebenfalls eine Bereicherung der eigenen Weitsicht. Und für mich ist es, wie sagt man doch: Wo die Liebe hinfällt. Das gehört dann auch irgendwo zu Integration, dass man solche Sachen unter einen Hut bringt.
Man hört immer wieder den Vorwurf, die Muslime könnten sich in diesem Land nicht anpassen. Was ist dran an dieser These?
Ich sehe kein Problem darin, in Österreich als Moslem zu leben. Es kommt immer auf die Einstellung an. Es gibt nicht DEN Islam. Manche legen ihn etwas enger, andere etwas lockerer an. Im Endeffekt ist die Religion deine eigene Sache. Kritisch wird es nur dann, wenn die Religion nicht mit den demokratischen Verhältnissen in Österreich fungieren kann.
Das scheint nicht allen klar zu sein …
Nicht nur Österreich muss schauen, dass es die Leute integriert, sondern auch die Leute müssen sich darum selber kümmern, sich zu integrieren. Dazu gehört halt auch, dass man die Kultur in Österreich akzeptiert und lebt. Und so wie ich es gelebt habe, ist es möglich. Man kann die österreichische Kultur mit der eigenen Kultur vereinbaren. Das ist ja kein Problem, sondern eine Bereicherung. Leider Gottes wird das halt oft missverstanden. Man kann nicht nach Österreich kommen und nur seine Kultur leben.
Mohamed Ibrahim ist gemeinsam mit Rapper und Flüchtlingshelfer Kid Pex Gast von "Mehr Platz" bei der internationalen Buchmesse Buch Wien 2021. Am 11. November gibt es eine Podiumsdiskussion zum Thema Migranten in den österreichischen Medien.