"Du hast keinen BMW?! Was bist denn Du für ein Jugo?!"
Von Mirad Odobašić
Das blanke Entsetzen in seinem Blick war nicht gespielt. Amir packte es einfach nicht, dass ihm sein Türsteher-Kollege soeben gestanden hatte, KEIN Besitzer eines BMWs zu sein. Zuvor hatten sie sich gelangweilt - das Lokal mit den pubertierenden "Goths" brauchte einfach keine Türsteher - über Autos unterhalten. Der bullige Amir, Sohn einer Österreicherin und eines Ägypters, wollte wissen, was der schlaksige neue Kollege für ein Auto fährt. "Mitsubishi" lautete dessen Antwort, die seinen Mund klaffen und eine Frage stellen ließ, die sein Gegenüber noch so oft hören sollte: "Du hast keinen BMW?! Was bist denn Du für ein Jugo?!"
Ob Amir an diesem Tag die Erkenntnis gewonnen hat, dass jemand, der in seinem Familiennamen die Endung -ić trägt, nicht zwingendermaßen einen BMW besitzen muss? Eher nicht. Denn Amir war in seiner Welt von kahlgeschorenen jungen Männern mit stählernen Körpern umgeben, die in der Nacht vor Lokalen potenzielle Unruhestifter abschreckten und untertags die Felgen ihrer tiefergelegten Karossen polierten. Dass ich dieses Klischee nicht bediente, verunsicherte ihn noch mehr als die Tatsache, dass ich über meinem nicht sonderlich muskulös gebauten Oberkörper ein weites schwarzes H&M- und kein enganliegendes Bodybuilder-Leiberl trug - und ein Student war.
Ich weiß bis heute nicht warum, doch vermutlich hinderte mich eine Mischung aus Angst und Respekt daran, ihm Folgendes zu sagen:
- Nicht jeder in Wien lebende Serbe, Kroate oder Bosnier fährt einen BMW! Auch wenn das nicht jedem schmecken mag: Der Besitz eines bayrischen Wagens stellt nicht für alle "Jugos" eine Priorität dar. Manche verreisen tatsächlich lieber (und zwar nicht in die südosteuropäische Heimat ihrer Vorfahren) oder investieren ihr Geld in etwas anderes (und zwar nicht in die "Villen" in Heimatorten ihrer Vorfahren).
- Nicht jeder in Wien lebende Serbe, Kroate oder Bosnier ist ein Hackler (oder eben Türsteher)! Die Zeiten haben sich geändert. In den 1970ern kamen die Gastarbeiter her, verrichteten Schwerstarbeit und träumten davon, mit einem Sackkarren voller Schilling heimzukehren, um ihre Häuser für das Leben in der (leider meist) kurzen Pension zu schmücken. Der BMW (oder Mercedes - eigentlich die am Balkan höher angesehene Marke, zumindest damals) diente ihnen als Ablenkung vom harten Arbeitsalltag und als Statussymbol. Denn abgesehen von ihrem Job, mit dem sie sich übrigens aufgrund ihrer Verdienste für dieses Land zumindest ein Denkmal verdient hätten, hatten sie wenig vom Leben.
In den 1990ern wanderten kriegsbedingt "andere Jugos" nach Österreich aus, die hierher nicht kamen, um auf der Baustelle zu hackeln - auch wenn sie zumindest vorübergehend keine andere Wahl hatten. Und was viele außer Acht lassen: Um die Jahrhundertwende herum rollte in Österreich eine ganz andere "Jugo-Welle" an. Tausende junge Menschen aus den Nachfolgestaaten Jugoslawiens machten sich auf den Weg nach Wien und Graz, um hier zu studieren. So auch der Verfasser dieser Zeilen.
Deshalb, lieber Amir, kann Dein ehemaliger Kollege, hier in Wien, Österreichs Justizministerin in unserer Muttersprache interviewen, eine Zahnwurzelbehandlung bei einem Jugendfreund aus der alten Heimat erledigen oder einen Cousin, der heute Bankfilialleiter ist, um einen Kredit anbetteln. Übrigens, keine(r) von den Aufgezählten besitzt einen BMW (bei Alma bin ich mir nicht sicher, gehe aber davon aus), hat es aber im Leben geschafft. Obwohl er/sie ein Jugo ist bzw. war.