Alexandra Stanić: Warum sie Österreich immer noch hasst
Über 50.000 Follower sprechen eine Sprache für sich. Alexandra Stanić kennt man in Österreich. Ihren Erfolg auf Social Media verdankt sie ihrem Naturell: Sie ist direkt, offen und scharfzüngig.
Dass sie mit ihrer Art nicht nur Freunde gewinnt, ist ihr bewusst. Sie kann damit leben. In ihrem Stammcafé nahe des Schwendermarkts lässt die Journalistin und Podcasterin ihre Karriere Revuè passieren und spricht über Themen, für die sie brennt.
KURIER: Sie haben noch bevor Sie maturiert haben beim Biber Magazin angefangen. Schon damals schrieben Sie in Ihren Texten über den ex-jugoslawischen Nationalismus in Wien. Wahrscheinlich kein einfacher Einstieg?
Alexandra Stanić: Nein. Ich glaube, einer meiner ersten Beiträge hieß “Meine Freunde, die Nationalisten”. Die Geschichte hatte sogar zwei weitere Teile. Ich wollte damit entlarven, wie nationalistisch mein Umfeld ist. Ich war zwar schon immer antifaschistisch geprägt, hatte aber trotzdem 'blind spots' für Freunde, die einen anderen Zugang hatten. Je mehr ich mich politisch sozialisiert habe, umso klarer wurde mir, dass es sich nicht ausgeht. Als ich dann darüber geschrieben habe, bekam ich zu spüren, was Hass im Netz wirklich ist.
Heute schreiben Sie ja immer noch sehr viel über polarisierende Themen. Hat sich beim Hass im Netz mittlerweile etwas geändert?
Es sind viel mehr Kommentare (lacht). Aber ich muss schon sagen, dass die positiven Rückmeldungen deutlich überwiegen. Trotzdem gibt es leider aber auch negative oder sogar bedrohliche Kommentare als Privatnachrichten. Und die Rechtslage in Österreich ist, was das betrifft, leider relativ schlecht.
Haben sich die Reaktionen geändert?
Es gab keine ehrliche Aufbereitung der Kriegsverbrechen. Und in Österreichs Schulen wird ohnehin nichts darüber gelehrt. Daher ändert sich auch nichts, es wird sogar schlimmer. Wir sehen ja in ganz Europa einen Rechtsruck, es ist in der serbischen Kultur nicht anders. Auch in der Diaspora in Wien.
Fast überall in Wien gibt es ja auch Graffitis von rechtsextremen Symbolen. Konnten Sie da Entwicklungen beobachten?
Ich glaube, es gibt viel zu wenig Aufarbeitung, was rechte Bewegungen angeht. Ganz im Gegenteil. Wenn man sich anschaut, was da Parteien von sich geben, einen ganz krassen, sehr konservativen, sehr rechten Wind: Angefangen vom Verbot von Dragqueen-Lesungen bis hin zur Deutschpflicht am Schulhof in Niederösterreich. Die Zeiten scheinen sehr dunkel zu sein. Das spiegelt sich auch auf Social Media wider.
Werden die Themen, die wir eben angesprochen haben, im österreichischen Bildungssystem ausreichend behandelt?
Ich glaube, das Bildungssystem scheitert an ganz vielen Sachen, unter anderem daran, ein politisches Verständnis mitzugeben. Geschweige denn, dass man über „irgendetwas“ lehrt, das ein paar Hundert Kilometer von der österreichischen Grenze passiert ist. Srebrenica ist nicht weit weg.
Woran liegt das?
Ich glaube, das ist mangelndes Interesse. Es kommt mir so vor, als ob die österreichische Politik sich nicht um migrantische Personen schert und das spiegelt sich in den Schulen wider. Und viele Lehrkräfte sind auch nicht sensibilisiert, was Themen wie Trauma, Krieg und Flucht betrifft.
Was hat Sie zum Journalismus gebracht?
Ich habe meinem Vater gesagt, dass ich ein Buch schreiben möchte. Er meinte, dass ich doch zuerst Journalistin werden und Erfahrung im Schreiben sammeln soll. Dann sind viele Jahre vergangen und ich bin nach Wien gezogen. Auf der Philadelphia Brücke hat mir dann jemand das Biber-Magazin in die Hand gedrückt. Als ich das aufgemacht und gesehen habe, dass es ein Magazin nur von Menschen mit Migrationshintergrund ist, schien es für mich wie so ein Safe-Space für die migrantische Community. Ich habe mich dann dort beworben, weil ich gut in Deutsch war und einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn hatte.
Und was hat Sie im Journalismus bleiben lassen?
Ich glaube, dass ich gut darin bin. Ich habe auch ein gutes Gespür dafür, zu erkennen, wofür die Menschen brennen. Und irgendwie habe ich mich über die Jahre zu so einem multimedialen Hybrid verwandelt, weil ich so viele verschiedene Sachen mache und völlig frei bin. Meine Kolumne, die mit einem Abo-System über 'Steady' funktioniert, ist beispielsweise völlig unabhängig. Ich habe schon vor sieben Jahren angefangen, Medienhäuser davor zu warnen, dass sie auch Inhalte auf Social Media aufbereiten werden müssen. Damals hat niemand daran geglaubt. Heute suchen sie unbedingt nach Leuten, die TikToks machen können.
Wo gehen die Printmedien denn hin?
Ich habe jetzt schon sehr lange nicht mehr an Printprodukten gearbeitet, ich bin da komplett raus. Im internationalen Vergleich gibt es aber durchaus Zeitungen oder Magazine, die immer mehr auf das Online-Produkt setzen. Wenn sich unsere Medien nicht schnell überlegen, wie sie ihre Inhalte besser aufbereiten und gleichzeitig ein Arbeitsumfeld schaffen, in dem junge Leuten arbeiten möchten, werden sie nicht lange erfolgreich bleiben, befürchte ich.
Sie waren Chefreporterin und Chefredakteurin für das Vice-Magazin, das vor wenigen Wochen Insolvenz angemeldet hat. Welche Eindrücke nehmen Sie aus der Zeit mit?
Der Wechsel von einem kleinen Stadtmagazin zu einem globalen Medienkonzern war eine große Umstellung. Das waren zwei verschiedene Welten, die aneinander knallten. Irgendwo dazwischen habe ich versucht, eine Balance für mich zu finden. Nach einem halben Jahr haben sie die österreichische Redaktion eingestanzt und mich zur Chefreporterin für den DACH-Raum gemacht. Dann bin ich zwischen Berlin und Wien gependelt und konnte Reportagen schreiben und Fotostrecken machen, einfach Dinge, für die ich gebrannt habe.
Ein Text von Ihnen bekam besonders viel Aufmerksamkeit. Im Kommentar "Warum ich Österreich hasse" schreiben Sie zum Schluss, dass Sie an Ihrer Liebe zu Österreich arbeiten wollen. Hat sich da schon etwas getan?
Schwierig (lacht). Ich glaube, die Situation hat sich verschlimmert. Die Liebe ist nicht größer geworden, aber dafür die Angst. Und zwar darüber, wo wir uns hinentwickeln. Als Beispiel brauchen wir uns nur die Rosa Lila Villa anzusehen. Bei der Demo gegen die Dragqueen-Lesung wurde gefordert, die Villa zu schließen. Es ist einer der wenigen Orte, an denen nicht nur queere Personen, sondern auch Geflüchtete aus der LGBTIQ-Community sicher sind und auch wohnen können. Das Beispiel zeigt für mich, wohin wir uns als Gesellschaft hinentwickeln. Und wer da keine Angst hat, ist Teil des Problems.
Sie thematisieren das Thema Queerfeindlichkeit ja ganz stark auf Social Media und in Ihrer Kolumne. Könnten österreichische Medien da noch mehr machen?
Ja sicher. Ich finde, klassische Medien versagen ganz stark, weil sie auch einfach nicht widerspiegeln, wie die Gesellschaft wirklich aussieht. Es ist weiterhin ein sehr elitärer Job, was bedeutet, dass eher Akademikerkinder Journalisten werden. Wenn sie nur mal anfangen würden, Leuten eine Chance zu geben, die nicht die klassische Ausbildung genossen haben ... Wie fernab von der Realität musst du sein, um zu glauben, dass du nur mit einem FH-Journalismusstudium den Job ausüben kannst? Ich habe die Uni abgebrochen. Zu der Zeit hat mir VICE die Position als Chefredakteurin angeboten, eine Jobmöglichkeit, die ich statistisch gesehen niemals haben sollte.
Sie fotografieren, schreiben, betreiben einen Podcast und filmen Reportagen. Das Einzige, was noch fehlen würde, ist ein Buch. Ist da schon etwas in Planung?
Es ist so, dass ich mit mehreren Verlagshäusern spreche. Ich mache das schon relativ lange, weil ich immer hin und her überlege, wie und wo ich das machen soll. Aber ich hoffe, dass es spätestens nächstes Jahr ein Buch geben sollte. Das leake ich jetzt mal.