Leben/Gesellschaft

Wochenbettdepression: Wenn die Vaterfreude ausbleibt

Als Alex erfuhr, dass er zum dritten Mal Vater wird, war die Freude groß. Dass ein Neugeborenes auch Anstrengung bedeutet, wusste er als zweifacher Vater nur allzu gut. Stress war er aus seinem Beruf außerdem ohnehin gewohnt. Mit der Geburt des dritten Kindes änderte sich jedoch alles. Aufgrund von Komplikationen während der Entbindung war die Kindsmutter körperlich nicht in der Lage, die Betreuung des Säuglings zu übernehmen. Alex musste einspringen, das Baby Tag und Nacht versorgen – und dabei auch die väterlichen Pflichten für seine anderen Kinder erfüllen.

Irgendwann fühlte er sich müde, emotional ausgelaugt, gehetzt und überfordert. Nachts konnte er kaum noch schlafen, tagsüber plagten ihn Unruhe und Gereiztheit. Was Alex nicht wusste: Was er empfand, waren Anzeichen einer beginnenden Wochenbettdepression.

Die Wochenbettdepression, auch postpartale Depression genannt, kennen viele nur in Verbindung mit frischgebackenen Müttern. Rund 15 Prozent aller Mamas kämpfen nach der Geburt mit psychischen Problemen. Zusammen mit physischen Belastungen und Hormonschwankungen kann das zu depressiven Verstimmungen führen, die unter dem Begriff postpartale Stimmungskrisen zusammengefasst werden. Je nach Schweregrad werden diese in das postpartale Stimmungstief (Babyblues), die postpartale Depression sowie die postpartale Psychose eingeteilt. Beim Babyblues sind Mütter kurzzeitig (bis etwa zwei Wochen nach der Geburt) emotional labiler, benötigen in der Regel aber keine spezifische Behandlung.

Väter unter Druck

Dass Überforderung – und die damit verbundene psychische Belastung – nach der Geburt auch Väter treffen kann, wurde in der Medizin und Wissenschaft lange Zeit nur am Rande thematisiert. Auf die Idee, dass auch Männer psychisch unter den Anforderungen der Vaterschaft leiden könnten, kamen Forscher bereits in den Siebzigerjahren. Erhebungen brachten damals jedoch keine entsprechenden Beweise.

Neuere Studien widersprechen diesen Ergebnissen: Bis zu 20 Prozent der Väter sollen von Babyblues, rund drei Prozent von postpartalen Depressionen betroffen sein. 2015 stellten Wissenschafter der Oxford University fest, dass die postpartale Depression bei Männern eine eigene Symptomatik aufweist. Während Mütter mit Wochenbettdepression an Angstzuständen, Lustlosigkeit, Schlafstörungen und schwerer Melancholie leiden, scheinen Männer aggressives, gereiztes und selbstzerstörerisches Verhalten an den Tag zu legen.

Dem stimmt auch Sarah Kittel-Schneider, stellvertretende Direktorin der Klinik für Psychiatrie an der Universität Frankfurt, zu. "Depressionen äußern sich bei Männern generell meist anders", weiß Kittel-Schneider, die auch eine Spezialsprechstunde für psychische Erkrankungen in der Zeit um die Geburt leitet. "Sie ziehen sich meist stärker zurück."

Um das Phänomen genauer zu untersuchen, führt Kittel-Schneider derzeit eine Paar-Studie zum Thema durch. "Die Problematik ist bei Vätern nach wie vor sehr wenig untersucht", sagt sie. Zum einen sei es tatsächlich schwer, "an betroffene Väter ranzukommen". Zum anderen gebe es unter Ärzten und Forschenden nach wie vor nur ein sehr geringes Bewusstsein für das Thema: "Ältere Generationen von männlichen Experten ziehen die Problematik oft erst gar nicht in Betracht."

Rückzug aus Scham

Mit dem depressionsbedingten Rückzug gehe laut Kittel-Schneider einher, dass Männer selten offen über ihre Probleme sprechen. Dabei wäre gerade das so wichtig: "Wie auch für Frauen wäre es für Männer mit Babyblues oder Wochenbettdepression wesentlich, sich einem nahestehenden Menschen anzuvertrauen." Auch eine Beratung in Betracht zu ziehen und sich von Experten entlastende Tipps zu holen, könne in der Frühphase einer Depression sehr hilfreich sein.

Beim Beratungsangebot prescht Großbritannien vor. Anfang Dezember verkündete die britische Gesundheitsbehörde, dass man werdende und frischgebackene Väter stärker unterstützen wolle. Papas, die während Schwangerschaft ihrer Partnerin oder nach der Geburt des Kindes an Angstzuständen, depressiver Verstimmtheit oder schwerwiegenderen psychischen Problemen leiden, sollen demnach einfach Hilfe in Anspruch nehmen können. Kittel-Schneider begrüßt das: "Auch wir planen eine Sprechstunde nur für Väter." Dabei sei die größte Herausforderung, "sie dazu zu kriegen, die Scham hinter sich zu lassen und das Angebot anzunehmen". Parallel dazu müsse jedenfalls auch ein Bewusstsein geschaffen werden – "dafür, dass die Wochendepression eben auch Väter treffen kann, dass das nicht schlimm und schon gar nicht unmännlich ist".

Alex fühlte sich nach einigen Beratungsterminen ermutigt, Hilfe innerhalb seiner Familie zu suchen. Die Unterstützung von Verwandten brachte schließlich die notwendige Entlastung – und die Symptome verschwanden.

Anlaufstellen für Betroffene

Professionelle Versorgung ist für Väter, vor allem aber auch für Mütter in Krisen, besonders wichtig. Beratungsangebote gibt es unter anderem in der Spezialambulanz für peripartale Psychiatrie am Wilhelminenspital (+43/1/491/50-8110), im Sozialpsychiatrischen Ambulanzzentrum (+43/5/768087-23090) am Standort Neuromed Campus des Kepler Universitätsklinikums und in der Mutter-Kind-Ambulanz an der Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg Linz (+43/50554/6239154). Die Männerberatung Wien berät Väter in offenen Vätergruppen, auch Geburtsvorbereitung für werdende Väter wird angeboten (+43/1/6032828).