Leben/Gesellschaft

Wo auch Erwachsene schwimmen lernen können

Sie hat keine Angst mehr, denn sie hat in einem Schwimmbad in Wien-Strebersdorf soeben gelernt: Die Schwimmwurst hält sie über Wasser. Doch sie ist weiterhin angespannt. Kein Wunder: Es ist erst die zweite Schwimmstunde in ihrem Leben.

Ihre Lehrerin, Nici Rychlewski, Gründerin und Inhaberin der Schwimmschule Wien, hat die 57-jährige Frau und die vier anderen Anfängerinnen soeben eingeladen, sich zum ersten Mal in das tiefe Wasser vorzuwagen.

Die Spannung steigt: Umugani Chergesova arbeitet sich mutig mit Armen und Beinen vorwärts. Sie ist bis auf Weiteres eine von fast 700.000 Menschen in Österreich (siehe Grafik), die sich meist schamerfüllt als Nichtschwimmer bezeichnen.

Frau Chergesova hat in ihrer Heimat, der russischen Republik Dagestan, als Lehrerin gearbeitet. Sie kann daher gut erklären, warum sie als Kind nicht schwimmen gelernt hat: „Wir haben zwar nur 15 Minuten vom Kaspischen Meer entfernt gewohnt, aber ausschließlich den Buben war es erlaubt, schwimmen zu lernen.“

Ein Klassiker, wie uns Sozialforscher versichern: Wollen Eltern nicht als Vorbilder dienen, wird vieles komplizierter. Egal ob Sprache oder Sport, was man als Kind nicht erlernt, kann im Erwachsenenalter zur Qual werden.

Die Frau aus Dagestan hatte nach ihrer Flucht in Wien alle Hände voll zu tun, um sich und ihre Tochter mit Hilfsarbeiten finanziell über Wasser zu halten: „An Baden war für mich jahrelang nicht zu denken.“

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Was für ein Glück!

Der kulturelle Hintergrund kann der Grund für fehlende Schwimmfertigkeiten sein. Es gibt auch andere, sagen die Studienautoren des Kuratoriums für Verkehrssicherheit. Etwa die Geografie: Österreich, ein Land ohne direkten Meerzugang und vergleichsweise wenigen Seen, sei da nicht gerade im Vorteil.

Ihre Tochter hat ihr den Schwimmkurs zum Geburtstag geschenkt, erzählt Umugani Chergesova stolz: „Mit dem Hinweis, dass ich nicht nur arbeiten, sondern auch einmal auf mich schauen soll.“ Sie sieht es daher auch als ihre Verpflichtung an, das Schwimmen endlich zu erlernen: „Wir haben Glück mit unserer Lehrerin, die Nici ist sehr einfühlsam.“

Man kann ihre Gedanken im Schwimm-Bereich leicht in ihrem Gesicht ablesen: Ja, das Wasser lässt Menschen nicht nur untergehen, es trägt sie auch. Was für ein Glück!

Während ihre Kunden langsam die Tempi mit Armen und Füßen zu synchronisieren beginnen, erzählt Nici Rychlewski: „Da spielt oft auch Angst mit, zum Beispiel aufgrund eines traumatischen Erlebnisses in der Kindheit.“ Aus ihrer langjährigen Erfahrung mit Schülern zwischen 5 und 75 weiß sie: „Die Kinder lernen viel schneller. Sie gehen weniger verzagt an die Sache heran. Sie wissen auch noch nicht, was alles passieren kann.“

Was der Schwimmlehrerin dessen ungeachtet auffällt: „Der Altersschnitt ist bei unseren Kinderkursen zuletzt angestiegen: Waren Zwölfjährige früher die Ausnahme, sind sie heute gar nicht mehr selten.“

Umugani Chergesova ist bereits auf einem guten Weg. Sie wird sich – so viel lässt sich heute schon sagen – nach den zehn Kurs-Einheiten ohne Angst und ohne Scham in ein Schwimmbecken trauen und im tiefen Wasser ihre Längen ziehen. Sie ist der beste Beleg dafür, dass man das Schwimmen auch noch im Alter erlernen kann.

Kurse der Wasserrettung: Für Kinder und Erwachsene in allen Bundesländern und allen
Einrichtungen der Wasserrettung. Alle Infos hier.

Schwimmschule Wien: 10 Einheiten um 175 Euro. Infos hier.