Leben/Gesellschaft

Wenn Frauen den Notruf wählen

Stress, Hektik und Chaos sind Assoziationen, die oftmals durch das Wort Notruf hervorgerufen werden. Ein ganz anderes Gefühl stellt sich hingegen beim Betreten der Räumlichkeiten des Vereins Notruf im 17. Wiener Gemeindebezirk ein, der seit 1982 von sexualisierter Gewalt betroffene Frauen und Mädchen berät.

Ursula Kussyk, Sozialarbeiterin und Leiterin des Vereins, sitzt auf einer weißen Couch in einem lichtdurchfluteten Zimmer, die hohen Altbauwände sind in Pastellgelb gestrichen.

Kostenlos und anonym

"Ich kann mich noch an unser erstes Vereinslokal erinnern, eine Trafik im Souterrain. Es war saukalt und es gab ausschließlich ehrenamtliche Mitarbeiterinnen", sagt die 50-Jährige, die selbst seit 1991 bei Notruf tätig ist – und lacht.

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Im Laufe der Zeit habe sich der Verein zwar "professionalisiert", die Beweggründe für ihren Einsatz, etwas zu verändern, seien aber bis heute gleich geblieben. Das kostenlose und wenn gewünscht auch anonyme Beratungsangebot des Vereins richtet sich an alle Frauen ab 14 Jahren, die von sexueller Belästigung, Vergewaltigung oder Nötigung betroffen sind.

Während der Erstkontakt zumeist telefonisch erfolgt, besteht in weiterer Folge die Möglichkeit eines oder mehrerer persönlicher Treffen. "Es muss sich bei den Erlebnissen der Klientinnen nicht immer um dramatische Übergriffe handeln", erklärt Kussyk. Auch anzügliche Bemerkungen via Facebook oder der ungewollte Erhalt eines Nacktbildes können bei Frauen ein beklemmendes Gefühl und Klärungsbedarf auslösen.

Wenn eine Klientin, die einen sexuellen Übergriff oder eine Vergewaltigung erleben musste, Anzeige erstattet, bekommt sie vom Verein kostenlos eine psychosoziale und juristische Prozessbegleitung durch das ganze Strafverfahren. Im Vorfeld soll bei einer Beratung geklärt werden, was dabei auf sie zukommen könnte.

Über die Strafverfolgung dieser Taten gäbe es laut Kussyk ein verzerrtes Bild. "Die meisten Verfahren, die wir begleiten, werden einfach eingestellt, es kommt nicht einmal zu einer Hauptverhandlung." Für die Frauen häufig eine belastende Situation.

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Schuldgefühle bleiben

Zwar habe sich laut Kussyk seit Beginn ihrer Arbeit als Sozialarbeiterin vieles für Frauen verbessert und das Bewusstsein für sexuelle Übergriffe sei viel stärker ausgeprägt. Dennoch würden sich Frauen auch heute noch schuldig fühlen und schämen. "Zu meiner Anfangszeit war ich der festen Überzeugung, dass es in 30 Jahren so ein Angebot nicht mehr braucht und wir zusperren können" , sagt Kussyk.

Dass genau das Gegenteil der Fall ist, weiß auch Maria Rösslhumer, Leiterin der Frauenhelpline und Geschäftsführerin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser zu berichten. Die bundesweite – und ausschließlich telefonische – Beratungsstelle gegen Gewalt wurde im Jahr 1998 installiert und verzeichnete im Jahr 2015 mehr als 7000 Anrufe von Frauen und Mädchen. Die Nummer ist rund um die Uhr erreichbar, die Beratung kostenlos und anonym und wird auch mehrsprachig durchgeführt.

Es würden sowohl Frauen anrufen, die nach konkreten Auskünften fragen, als auch solche, denen nicht klar ist, welchen Schritt sie beispielsweise in einer von Gewalt geprägten Beziehung setzen sollen. Dann gilt es, im Zuge des Gesprächs eine Lösung zu finden.

>> Link zur Studie: Gewalt gegen Frauen. Eine EU-weite Erhebung

Wo Sie Hilfe finden:


Frauenhelpline gegen Gewalt
0800 / 222 555
Kostenlose telefonische 24-Stunden Erst- und Krisenberatung für Frauen, Kinder und Jugendliche, die von Gewalt betroffen sind.

24-Stunden Frauennotruf der Stadt Wien
01 / 71 71 19
Anlaufstelle für alle Frauen und Mädchen ab 14 Jahren, die unter sexualisierter, körperlicher und/oder psychischer Gewalt leiden.

NotrufBeratung für vergewaltigte Frauen & Mädchen
01 / 523 22 22
Fachstelle zu sexueller Gewalt an Frauen und Mädchen. Erreichbarkeit unter: www.frauenberatung.at

Am Dienstag, den 14. Februar, wird unter dem Motto "One Billion Rising" zum fünften Mal im öffentlichen Raum gegen Gewalt an Frauen getanzt. Der Name der Kundgebung – "eine Milliarde erhebt sich" – ergibt sich aus der statistischen Aussage der UN, dass ein Drittel aller Frauen und Mädchen weltweit in ihrem Leben Opfer von Gewalt werden.

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Tanz als Statement

Laut Angaben der Veranstalter wurde für die Initiative Tanz als Ausdrucksform gewählt, um einerseits ein Statement zu setzen und andererseits, weil Frauen, die durch Gewalt traumatisiert worden sind, über den Tanz zu ihrem Körper zurückfinden können. One Billion Rising hat sich im Jahr 2012 aus der V-Day-Bewegung entwickelt. Diese wurde im Jahr 1998 von der US-amerikanischen Autorin und Aktivistin Eve Ensler ins Leben gerufen. Ensler befragte in ihrem Buch und gleichnamigen Theaterstück "Vagina Monologe" unterschiedliche Frauen zu ihrer Vagina.

Seitdem ist der 14. Februar nicht mehr nur der Valentinstag, sondern auch der V-Day. Wobei das "V" nicht nur Valentine (Valentinstag), sondern auch Victory (Sieg) und Vagina meint. In Österreich findet One Billion Rising an unterschiedlichen Orten statt. In Wien um 17.30 Uhr vor dem Parlament. www.onebillionrising.org

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