Warum immer mehr Menschen Zeit statt Zeug verschenken
Von Julia Pfligl
Was schenkt man jemandem, der alles hat, was er braucht und sich alles kauft, was er will? Gefühlt wird es Jahr für Jahr schwieriger, ein Weihnachtsgeschenk auszusuchen, ohne sich als einfallslos oder unsensibel zu outen. Das Szenario ist bekannt: Auf der verzweifelten Suche nach dem idealen Präsent hetzt man kurz vor dem Heiligen Abend in die Stadt, um am Ende erst wieder ein Buch oder ein Parfum zu kaufen.
Die Enttäuschung ist in vielen Fällen vorprogrammiert, wie eine Umfrage der Flohmarkt-App Shpock aus 2016 zeigt: Nach den Feiertagen wurden ebendort ungewollte Weihnachtsgeschenke im Wert von 20 Millionen Euro angeboten – ein Drittel der Befragten ließ die unliebsamen Präsente zu Hause verstauben.
Selbstbestimmung
Gerade in einer Wohlstandsgesellschaft macht es Sinn, etwas Nichtmaterielles zu verschenken: Zeit nämlich. Gemeinsame Erlebnisse machen glücklicher als Gegenstände, das weiß die Wissenschaft, das fühlt der Hausverstand. „Die Zeiten, in denen es als Statussymbol galt, möglichst wenig Zeit zu haben, sind vorbei“, sagt der deutsche Philosoph Alexander Klier. Zeit wird kostbarer, eine Entwicklung, die sich nicht auf Weihnachten beschränkt. „Das zeigt sich darin, dass viele Leute nicht mehr bereit sind, so viel zu arbeiten, um mehr Zeit mit der Familie zu verbringen. Man wird autonomer im Umgang mit der eigenen Zeit, das hat viel mit Selbstbestimmung zu tun. Da bricht im Moment ganz viel auf und das äußert sich besonders zu Weihnachten.“
Just dann wächst nämlich das Gefühl, besonders wenig davon zu haben, weiß der Philosoph. „Das liegt weniger am Fest als am Jahresabschluss. Viele Projekte müssen bis dahin fertig gestellt werden und man ist abhängig von den Antworten anderer – das gilt für die Arbeit genauso wie für die Familie.“
Materielles ist „out“
Doch es gibt noch einen zweiten großen Gesellschaftstrend, der das Schenken von Zeit populär macht: Der Wunsch nach Nachhaltigkeit setzt sich langsam in den Köpfen fest, Lifestyle-Blogger predigen Minimalismus und „Decluttering“, also „Entrümpelung“. Motto: Zu viel Krempel verstopft Wohnung und Geist, Klima und Umwelt leiden ebenso unter dem Konsumwahnsinn. Da passt das Konzept „Schnell noch in die Stadt, um irgendwas zu kaufen“ so gar nicht dazu.
Wobei: Längst hat auch die Konsumindustrie das Thema besetzt, Event-Gutscheine zählen laut Umfragen zu den beliebtesten Geschenken. Der Marktführer Jochen Schweizer soll laut FAZ 400.000 Stücke davon pro Jahr verkaufen; gemeinsam mit Mitbewerbern wie Mydays und Jollydays ist das ein Millionengeschäft. Vom Whiskey-Seminar bis zum Ritteressen gibt es dort praktisch keine Erlebnis-Box, die es nicht gibt.
Eine andere Philosophie verfolgt das Portal „Zeit statt Zeug“: Der Gründer Michael Volkmer, Chef einer Kreativagentur, möchte dazu anregen, Gegenstände durch persönliche Aktivitäten zu ersetzen, die nichts kosten und Ressourcen schonen (siehe unten). Statt einer neuen Kamera schlägt er etwa vor, zusammen alte Fotos anzusehen, Slogan: „Irgendwas kaufen ist auch keine Lösung“.
Zeit schenken: Die besten Ideen
Eine Nacht im Wohnwagen: „Karl“ heißt er, der sechs Meter lange, autarke Wohnwagen mit Loft-Charakter. Er steht in den Weinbergen von Traismauer und bietet Platz für zwei Personen auf der Suche nach einem besonderen Übernachtungserlebnis. Bei Bedarf packt Hans, der Heurigenwirt, einen Picknickkorb für eine Weingartenjause. Um ca. 110 Euro via www.weinschoeller.at
Freunde-Fotoshooting vom Profi: Eine gute Alternative zu den vielen verwackelten Freundinnen-Selfies: echte Fotos vom Profi. Beim Shooting mit den Mädels verbringt man nebenbei auch endlich wieder einmal einen Nachmittag zusammen. Ab ca. 39 Euro via www.picturepeople.at
Spannung beim Action-Abenteuer: Für alle, die „Exit The Room“ mochten, gibt es nun ein noch kniffligeres Abenteuer: Bei „Crime Runners“ bekommen die Teilnehmer Aufträge eines mysteriösen Operators und durchleben eine logisch verknüpfte Geschichte. Ab ca. 22 Euro pro Person via www.crimerunners.at
Sinnvolle Alternativen zu Materiellem: Das Online-Portal „Zeit statt Zeug“ möchte dazu inspirieren, Aktivitäten statt Gegenstände zu verschenken – Waldspaziergang statt Parfum, Blumen pflanzen statt Blumenstrauß, Stricken beibringen statt Pullover. Die Gutscheine können direkt ausgefüllt und versendet werden. Via www.zeit-statt-zeug.de
Auszeit für jeden Geschmack: „Raus aufs Land“, „Genießertage“ oder „Entspannen im Schloss“ – wer einen Kurzurlaub verschenken möchte, ist beim
österreichischen Unternehmen Urlaubsbox richtig. Pro Themen-Set stehen mehrere Hotels zur Auswahl. Ab ca. 50 Euro via www.urlaubsbox.com
Gemeinsam Kunst und Kultur erleben: Es ist ein häufig gefasster Neujahrsvorsatz: Gehen wir doch öfter ins Museum! Zum Glück bieten Wiens namhafte Häuser günstige Jahresabos – etwa das Kunsthistorische Museum (44 Euro), die Albertina (60 Euro) oder das Belvedere (39 Euro).
Wien für Fortgeschrittene: Immer nur Ringstraße und Schönbrunn werden ja auch irgendwann langweilig. Für Wien-Kenner mit Sinn für Humor empfiehlt sich die (englischsprachige!) „Vienna Ugly“-Tour zu den weniger charmanten, aber häufig interessanteren Ecken der Stadt. Um 10 Euro via www.spaceandplace.at
Andere glücklich machen: Zeit zu schenken, kann auch bedeuten, die eigene Freizeit mit anderen Menschen zu verbringen, die auf Hilfe angewiesen sind. Das Projekt „Zeit schenken“ der Caritas ermöglicht jungen Menschen ab 16 Jahren, mit älteren Personen oder Menschen mit Behinderung zu lachen, zu spielen oder ihnen etwas vorzulesen. Herzerwärmend.