Leben/Gesellschaft

The Work: Die umstrittene Kunst, sich glücklich zu denken

"Ich will nicht gegen den Krebs ankämpfen, ich will an ihm wachsen", schreibt die Amerikanerin Bethany Webb auf ihrem Blog "My Guru, Cancer" (Mein Guru, Krebs, Anm.) – und stellt die Frage: "Was, wenn der Krebs mein Leben besser macht?" Eine Krebserkrankung, die das Leben zum Besseren verändert – der Gedanke scheint paradox, entspricht jedoch der Philosophie von The Work, einer Selbsthilfemethode, die von der Texanerin Byron Katie vor rund 30 Jahren entwickelt wurde.

Kraft der Gedanken

Im Zentrum steht der Glaubenssatz, dass menschliches Leid selbst verursacht ist. Indem man Negatives denkt und sich damit identifiziert, entstehen Probleme – bereits bestehende werden verstärkt. Damit ist Stress am Arbeitsplatz genauso gemeint wie Konflikte mit dem Partner oder Trauer durch den Verlust eines geliebten Menschen. Den leidvollen Kreislauf zu durchbrechen, gelingt, wenn Gedanken hinterfragt und ins Gegenteil umgekehrt werden. Den Erfolg der Methode erklärt Byron Katie, die The Work aus ihrer eigenen Krisenerfahrung heraus gründete, im Gespräch mit dem KURIER damit, dass die Technik an der Wurzel menschlichen Leids ansetzt: "Wir leiden nicht aufgrund dessen, was uns widerfährt, sondern wegen unserer Gedanken darüber. Glauben wir diese, leiden wir. Stellen wir sie infrage, leiden wir nicht."

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Genau das hat Bethany Webb getan. Nachdem sie vor drei Jahren die Diagnose Brustkrebs erhielt, entschied sie sich, neben schulmedizinischer Behandlung The Work anzuwenden. Statt dem bedrohlichen Gedanken, dass sich die Krebszellen ausbreiten, nachzugehen, stellte sich die heute 37-Jährige die Frage, was sie ohne diese Überzeugung wäre – und drehte sie ins Gegenteil um: "Der Krebs breitet sich nicht aus." Aus dieser Herangehensweise schöpfte Webb, die derzeit krebsfrei ist, Kraft und fand einen Weg aus der Krise.

Gedankenkarussell verlassen

Nicht nur in derart existenzbedrohenden Lebensphasen wird The Work von Menschen als hilfreich empfunden. Alice G. kam 2013 zum ersten Mal mit The Work in Berührung. Nachdem die gebürtige Tirolerin Gefallen an Hörbüchern von Byron Katie fand, besuchte sie ein mehrtätiges Seminar. "Als ich mich damals aktiv meinen inneren Überzeugungen widmete, empfand ich das als revolutionär. Mittlerweile geht der Blick im Alltag immer zuerst nach Innen. So habe ich die Möglichkeit, aus dem Gedankenkarussell auszusteigen." Das hilft der 46-Jährigen beim Ärgernis über eine rote Ampel am Morgen ebenso, wie bei Konflikten in ihrer Partnerschaft. "Man kann besser miteinander kommunizieren, wenn man sich bewusst ist, was die eigenen Gedanken mit einem machen", schildert sie.

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Sektenhafte Ansätze

Was Webb, Alice und andere Anhänger von The Work als heilsam empfinden, sehen Experten kritisch. Die deutsche Psychologin und Wissenschaftsjournalistin Heike Dierbach bezeichnet The Work in ihrem Buch "Die Seelen-Pfuscher" (2009) als "Lehre mit sektenhaften Ansätzen". Indem jede Aussage und jedes Gefühl hinterfragt werde, führe die Methode zur Entfremdung von der Umwelt.

Das bestätigt Ulrike Schiesser, Psychologin und Mitarbeiterin der Bundesstelle für Sektenfragen: "The Work ist vor allem im Coaching-Kontext beliebt, fördert durch eine absolute Herangehensweise aber, dass man unangenehme Gefühle unterdrückt und sich mit Problemen abfindet statt sie zu lösen. Das kann dazu führen, dass man seinen Urteilen nicht mehr vertraut." Im Extremfall könne dies bei psychisch kranken Menschen zur Destabilisierung führen.

Kritik übt Schiesser auch an der vereinfachten Technik, die zur Anwendung kommt. "Je einfacher eine Methode, desto ansprechender ist sie für viele – desto weiter geht sie aber meist auch von einer dauerhaften Lösung weg." Diese Einschätzung teilt Autor Georg Steinmeyer, der The Work in seinem Buch "Die Gedanken sind nicht frei" bespricht. Als besonders bedenklich bewertet er, dass The Work auch bei Menschen mit Missbrauchserfahrungen angewandt wird: "Wenn Opfern von Gewalt suggeriert wird, dass sie selbst die Ursache ihres Leidens sind, ist das bizarr und problematisch."

Die Gefahr der Entfremdung sieht Byron Katie in ihrer Arbeit nicht. "Meiner Erfahrung nach führt The Work zu Intimität, nicht nur mit sich selbst, sondern auch mit seinem Umfeld." Durch die Distanz zu gelernten Denkmustern werde ein neuer Zugang zu sich selbst geöffnet, der einen wohlwollenden Blick auf das Leben ermöglicht. In der Einfachheit ihrer Technik sieht sie den Schlüssel ihres Erfolges: "Obwohl die Methode einfach ist, sind die Antworten, die sie hervorbringt, enorm tiefgründig."

Gedankenexperiment

Tatsächlich kann The Work auch hilfreich sein. "Die Art, wie wir über Dinge denken, kann Leid verursachen und verstärken. Es ist daher sinnvoll zu beobachten, wie stark das Denken in eine Richtung abdriftet und zu versuchen, Situationen anzunehmen", bestätigt Schiesser. In dieser Hinsicht sei der Grundansatz von The Work allerdings nicht neu, sondern eine Standardtechnik in vielen anerkannten Therapierichtungen. Unterm Strich sei The Work als Gedankenexperiment interessant – "ein universaler Lösungsansatz für psychische Probleme ist es aber keinesfalls". Menschen, die sich in einer Krise wiederfinden und The Work als ansprechend empfinden, rät Schiesser bei der Beraterwahl achtsam zu sein. Fehlt eine psychosoziale Grundausbildung, werden großspurige Heilversprechen gemacht und hohe Preise veranschlagt, ist Skepsis angebracht.

Byron Katie hält am 22. und 23. Juni einen Workshop in Wien ab, Infos unter: turnitaround.at