So schön ist Rennradeln: Frauen im Windschatten
Wenn nur mehr das Surren der gut geölten Kette zu hören ist, und das Schmatzen der schmalen, fest aufgepumpten Rennradpneus auf dem Asphalt. Wenn ihre Oberschenkel leicht zu brennen beginnen, und ihr Tacho mehr als 35 km/h anzeigt.
Dann spürt sie ein Gefühl von großer Freiheit.
Es ist für ungeübte Radfahrer nicht ratsam und auch gar nicht möglich, Carmen Olszewski über eine längere Distanz in ihrem Windschatten zu folgen. Die Lehrerin für Mathematik und Französisch sowie Mutter von drei Kindern tritt kräftig, sehr kräftig in die Pedale. Und ausdauernd, sehr ausdauernd.
Für ein Interview mit dem KURIER drosselt Olszewski jedoch ihr Tempo. Sie ist eine Mitzi, also im übertragenen Sinn. Denn eigentlich ist „Mitzi“ ein Rennrad, das Rennrad der Psychotherapeutin Stefanie Wacht. Und alle Frauen, die sich der Vereinsgründerin und ihrer „Mitzi“ anschließen, die sind für die Rad-Pionierin ihre „Friends“.
Eigentlich. Denn in der Umgangssprache und in den sozialen Medien hat sich eingeschliffen, alle Mitradelnden als „Mitzis“ zu titulieren.
Früh übt sich
Stefanie Wacht, die Besitzerin des Namen gebenden Fahrrads, erzählt, dass sie früher gelaufen ist. Rückenschmerzen ließen sie jedoch vor fünf Jahren auf ein Rennrad umsteigen. Und der Radrennsport brachte sie auf die Idee, eigene Ausfahrten für Frauen zu organisieren. Das erzählt uns auch etwas über die Mehrheit der Männer, die Radfahren als Leistungssport betreiben: „Als Frau wird man noch immer nicht ganz ernst genommen.“
Männer, bestätigen alle Mitzis, mögen es nicht, wenn eine Frau schneller Rad fährt. Dazu sagt Carmen Olszewski, die auch Schriftführerin des Vereins ist: „Wenn ich einen Mann überhole, kann ich mir sicher sein, dass er sich an mein Hinterrad klemmt.“
„Early Bird“ nennt sich eine gemeinsame Ausfahrt, die bereits um 6 Uhr in der Früh auf der Donauinsel startet und entlang der Donau bis Greifenstein führt. Von dort geht es per sehr steilen, schweißtreibenden Anstieg hinauf nach Hadersfeld, von dort zurück nach Wien. Rechtzeitig bevor die Pflichten des Tages rufen, Job und/oder Kinder, sind alle Teilnehmerinnen wieder zu Hause. Auffallend: Ihr Fitnessprogramm in den Alltag zu integrieren, ist für die Mitzis vergleichsweise schwieriger als für Männer.
Und dann gibt es noch einen feinen Unterschied, auf den die Rennradfahrerinnen aufmerksam machen: Während Männer ihre Gruppen-Ausfahrten oft als Wettrennen betrachten, sagen die Mitzis dezidiert: „No drop.“ Fällt eine zurück, würden die anderen auf sie warten. Ob es tatsächlich so ist? Wir glauben das jetzt mal so.
Für Carmen Olszewski ist es die Stille, die sie auf ihrem Rennrad genießt. Nur ihr Rennrad, die vorbeifliegende Gegend und sie. Das fühlt sich anders an als der Geräuschpegel in dem Gymnasium, in dem sie unterrichtet. Inzwischen hat sie Ortschaften rund um Wien durchradelt, die andere nicht einmal buchstabieren können.
„Das Schöne am Radfahren ist auch, seinen Körper zu spüren“, erklärt die vielleicht schnellste Lehrerin Transdanubiens. „Noch schöner ist es, dass mein 17-jähriger Sohn gerne mit seinem Rennrad fährt, und dass wir somit viele Stunden gemeinsam verbringen können.“
Ihr Verein will noch vor Weihnachten ein Cross-Rennen auf der Donauinsel organisieren. Und Weihnachtsfeier gibt es auch wieder.
„Reinigender Effekt“
Für Vereinsgründerin Stefanie Wacht ist Rennradfahren auch Ausdruck eines Lebensgefühls: „Weil ich jederzeit auf mein Rad steigen und losfahren kann. Und weil ich auch in der Stadt sehr schnell von A nach B gelange.“
Der unmittelbare Kontakt mit der Natur, den Jahreszeiten, dem Fahrtwind und den Elementen, das genießt sie, mehr als die Fahrt mit anderen Verkehrsmitteln. „Das hat auch für die Psyche einen reinigenden Effekt“, erklärt die Therapeutin. Dabei beruft sie sich auf eigene Erfahrungen.
Frage an die Leserschaft: Wer radelt mit?
Der Verein: Der „Mitzi and Friends Women’s Cycling Club“ wurde 2014 ins Leben gerufen. Inzwischen hält die Gruppe bei 1300 Freunden und Freundinnen auf Facebook und rund 40 regelmäßig aktiven Mitgliedern. Diese zahlen 50 Euro Mitgliedsbeitrag pro Jahr.
Seine Ausfahrten: An den „Early Bird“-Ausfahrten können auch Männer teilnehmen, die „Soft Banana Rides“ sind hingegen „women only.“ Diese werden speziell für Radsport-Einsteigerinnen ausgeschrieben. Das Banana-Tempo ist deutlich gemäßigter, zudem werden die Regeln des Windschatten-Fahrens und Zeichen-Gebens erläutert.
Bei den nächsten Ausfahrten können auch KURIER-Leserinnen das Radsport-Feeling kennenlernen. Alle Aktivitäten des Vereins hier: www.mitziandfriends.at