Leben/Reise

Süditalien: Im gesunden Herzen Neapels

Wer Neapel pur erleben will, muss unbedingt ins Rione Sanità, das sich nicht weit vom Archäologiemuseum befindet. Hier erlebt man das chaotisch pulsierende Herz der Stadt. Gleichzeitig ist es aber auch ein Paradebeispiel dafür, wie man ein einst gefährliches und gemiedenes Viertel, in dem die Camorra das Sagen hatte, in einen Besuchermagnet verwandelt. Manche sprechen sogar vom „Miracolo di Napoli“, von Neapels Wunder. Ein Wunder, das einem engagierten Priester und seiner Truppe junger Schützlinge zu verdanken ist.

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Man muss nur die Via Vergini, die Hauptader des Viertels betreten und schon findet man sich im Trubel des Wochenmarkts. Auf der linken Straßenseite sind die Marktstände, auf der rechten sitzen ältere Männer vor den Kaffeehäusern oder auf den Stiegen der barocken Kirche Santa Maria dei Vergini. Überall stehen die Holzkarren der Marktstände. In den engen Gassen sieht man die von einem Haus zum anderen gezogenen Wäscheleinen. Hört sich klischeehaft an, es ist aber so.

Den Name Sanità, auf Deutsch Gesundheit, verdankt das Viertel den Adligen, die sich im Laufe des 18. Jahrhunderts wegen der gesunden Luft niederließen. Die barocken Palazzi tragen von dieser Zeit noch Zeugnis. Da ist zum Beispiel der Palazzo dello Spagnuolo aus dem 18. Jahrhundert, entworfen vom damaligen Stararchitekten der Stadt Ferdinando Sanfelice. Bezeichnend für diesen Palazzo, wie auch für andere, die aber nicht so gut erhalten sind, ist die doppelte, einem Bienenkorb ähnliche Hausstiege.

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Die Adligen lobten die Luft, insgeheim trieb sie aber die Hoffnung auf Wundertaten der hier begrabenen Heiligen. Allen voran die des Heiligen Gaudioso, hiesiger ehemaliger Bischof. Die Neapolitaner sind nicht nur sehr gläubig – im Viertel stößt man immer wieder auf kleine Votivkapellen – sie vertrauen auch blindlings auf die Hilfe der Verstorbenen. Und warum eigentlich nicht? Über den Rione Sanità scheinen sie ihre schützende Hand gehalten zu haben.

Gemeinschaftsprojekte

Als alles begann waren viele der über zwanzig Mitglieder des 2006 gegründeten Verbands La Paranza nicht einmal volljährig. Sie kannten sich aus dem Jugendzentrum der Basilika Santa Maria della Sanità, die Don Antonio Loffredo 2001 übernommen hatte. „Stimmt, wir waren noch sehr jung hatten aber schon eine klare Vorstellung von dem was wir wollten“, erzählt Vincenzo Porzio, Pressesprecher des Verbands. Zum einen wollten sie nicht eines Tages, wie viele im Viertel, arbeitslos vegetieren und schon gar nicht Handlanger der Camorra werden. „Zum anderen fühlten wir auch eine Verantwortung gegenüber unserem Viertel“. Immer wieder wurde in der Basilika gestohlen, weswegen sie sogar Nachtwachen aufstellten.

Außerdem wussten sie von dem Schatz, der unter der Basilika schlummerte. Gemeint sind damit die Katakomben von San Gaudioso. Und das waren nicht die einzigen. Unter dem Gemäldemuseum Capodimonte, einst Sommerresidenz der Bourbonen, befinden sich die von San Gennaro. Außerdem befindet sich im Viertel auch der Cimitero delle Fontanelle. Diese einzigartigen Schauplätze waren seit Jahren geschlossen. Und so kam es, dass die Jugendlichen zusammen mit Don Antonio das Projekt ausarbeiteten sie wieder instand zu setzen und für die Besucher zu öffnen.

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Katakombenwunder

Siebzehn Jahre sind seit dem verstrichen und man kann sagen, das Projekt hat ein kleines Wunder bewirkt. Nicht nur, dass mittlerweile an die 200.000 Besucher im Jahr zu den Katakomben kommen, auch das Viertel selber ist zu einem Touristenziel geworden. Das hat damit zu tun, dass die Tour bei den höher gelegenen Katakomben von San Gennaro beginnt und direkt ins Herz des Rione Sanità führt. „Während des Rundgang erzählen wir auch über den Alltag des Viertels“, erklärt Vincenzo.
Und das alles hat zu einer neuen Einstellung der Einwohner geführt. Ihnen ist es wichtig, dass sich die Besucher wohl und sicher fühlen, denn das bedeutet neue Kunden. Und so wurde der Verband La Paranza.

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Doch trotz der Änderungen bleibt sich Rione Sanità treu, hat seine Seele nicht dem Marketing verkauft. Die Scugnizzi, wie die Jugendlichen in Neapel genannt werden, flitzen weiter ohne Schutzhelm auf ihren knatternden Mofas durch die Straßen, manchmal ist es eine ganze vier köpfige Familien, die darauf fährt. Von den Balkons hängen Körbe, die der Bäcker, der Fleischhauer oder der Gemüsehändler füllt und die Hausfrauen dann laut dankend herauf ziehen. Alles wie gewohnt, alles wie noch vor zig Jahren.

Voriges Jahr wurde der La Paranza Verband mit dem prestigevollen European Heritage Award ausgezeichnet. Darüber ist man natürlich sehr stolz. Noch stolzer ist man aber, dass das Beispiel des Rione Sanità auch auf andere Viertel abgefärbt hat. Zum Beispiel auf die gerade ein Viertel Stunde zu Fuß gelegene Altstadt um Spaccanapoli. Auch dort wird der Besucher mittlerweile sehr geschätzt und kann sich sicher fühlen.