Leben/Gesellschaft

Psyche: Wie das Innere Kind unsere Gefühle steuert

Wenn US-Präsident Donald Trump Dinge tut, über die wir den Kopf schütteln, könnte sein „Inneres Kind“ eine Rolle spielen. Davon ist der deutsche Paartherapeut und Autor Michael Mary überzeugt. Wie die Welt funktioniert und was im Leben wichtig ist, wird in der Kindheit „gespeichert“. So entstehen Glaubenssätze, die uns bis ins Erwachsenenalter begleiten – und uns als Wahrheit manchmal das Leben erschweren. Wie man solche „Wahrheiten“ umschreibt, erzählt Michael Mary.

KURIER: Sie haben viele Bücher zum Thema „Beziehung/Liebe/Partnerschaft“ geschrieben. Warum nun eines zum Thema „Inneres Kind“?

Michael Mary: Mir scheint, dass das Thema jetzt in der Gesellschaft angekommen ist. Es wird für viele Menschen immer offensichtlicher, dass unser Handeln weit mehr von Emotionen bestimmt wird als vom Verstand. Wie sonst könnten wir diesen Planeten an den Abgrund führen? Vernünftig ist das nicht, da werden wir von Gefühlen geritten. Daher ist es wichtig, einen klaren Blick auf das Thema zu werfen.

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Was genau ist das „Innere Kind“, wie muss man es sich vorstellen, wo „sitzt“ es?

Das Innere Kind ist ein Begriff für das im Laufe eines Lebens entstandene Fühlen und Erleben. Es hat seinen Sitz in der Psyche, also dort, wo scheinbare Wahrheiten über die Welt, die Menschen oder über sich selbst darüber bestimmen, was wir für wichtig halten, wie wir Ereignisse des Lebens deuten und wie wir uns da heraus verhalten.

Was kann uns dieses Innere Kind denn über uns mitteilen? Vor allem aber: Wie kommuniziere ich mit ihm?

Stellen Sie sich vor, Sie sehen Ihren Partner in angeregter Unterhaltung mit einer attraktiven Frau. Wie reagieren Sie? Das hängt davon ab, wie Sie die Situation deuten. Wenn sie emotional unsicher sind, deuten Sie das als Bedrohung und machen Ihrem Partner womöglich eine Szene. Dann hätte das Innere Kind die Angst, verlassen zu werden. Klar, dass Sie Ärger mit dem Partner bekommen. Oder stellen Sie sich vor, Sie verlieren Ihren Job. Wenn Sie jetzt in Panik geraten, dann, weil Ihr Inneres Kind glaubt, die Zukunft wäre vorbei. Natürlich wohnt da kein Kind in Ihnen, aber wenn man bestimmten Gefühlen oder Zuständen eine Identität zuweist – in Gestalt des Inneren Kindes –, dann kann man Kontakt damit aufnehmen, so mit sich selbst kommunizieren und Deutungen und scheinbare Wahrheiten infrage stellen.

Was bringt es mir, wenn ich in Vergangenem suche, Motto: „Die Eltern sind an allem schuld“?

Das Innere Kind steht für Gefühle und Deutungsmuster, die heute wirksam sind. Diese mögen ihren Ursprung zwar in der Vergangenheit haben, aber der Umgang damit stellt kein Zurückgehen dar, sondern eine Auseinandersetzung mit dem, was man heute für wahr hält und wie man glaubt, sich heute verhalten zu müssen. Die Auseinandersetzung mit dem Inneren Kind findet in der Gegenwart statt.

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Gibt es dazu wissenschaftliche Erkenntnisse?

Der Begriff wird schon seit etlichen Jahren in therapeutischen Ansätzen gebraucht und hat sich als hilfreich erwiesen. Ich zeige allerdings, wie man selbst mit schwierigen Gefühlen und emotionalen Zuständen umgehen kann, ohne Therapeuten bemühen zu müssen. Meine Arbeit mit dem Inneren Kind hat nichts mit krankhaften Zuständen zu tun, sondern befasst sich mit der Frage, wie man ein erfüllteres Leben führen kann.

Wie kann man die Glaubensmuster des Inneren Kindes „umstricken“?

Überzeugungen und scheinbare Wahrheiten wirken, solange sie unbewusst bleiben. Nimmt man nun mit dem Inneren Kind Kontakt auf, und begegnet man ihm als liebevoller Erwachsener, dann kann man dem Kind zeigen, wie die Welt heute ist. Dadurch schreibt man seine Vergangenheit um. Indem man andere Deutungen für Ereignisse entwickelt. Deutungen, denen heutige Möglichkeiten und Fähigkeiten zugrunde liegen.

Viele sagen aber: Was vergangen ist, ist geschehen, es ist besser, das ruhen zu lassen.

Wer glaubt, was geschehen ist, wäre vorbei, irrt in vielen Fällen gewaltig. Das Ereignis von damals ist vorbei, aber die Schlüsse, die man daraus gezogen hat, sind oft noch wirksam. Sie können das feststellen, wenn Sie Leute fragen: „Wozu ist es nötig, das zu tun, was du tust?“ Beispielsweise: „Wozu ist es nötig, zu der ersten Million noch eine weitere zu verdienen?“ Sie werden Dinge hören wie: „Ich will doch nicht am Hungertuch nagen“ oder „Man kann nie genug haben“. Das spricht das Innere Kind, da hören Sie die Stimme der Angst. Es gibt viele Formen emotionalen Getriebenseins.

Sie schreiben, viele Politiker oder Mächtige würden im Auftrag des Inneren Kindes agieren – woran erkennen Sie das?

Sie haben sicher Donald Trump gesehen, wie er einen Präsidenten beiseite schiebt und sich trotzig nach vorne drängt, mit vorgestrecktem Kinn. Da war ein Inneres Kind in Aktion. Oder Gerhard Schröder. Wer hat da am Zaun des Kanzleramtes gerüttelt und gerufen: „Ich will da rein!“ Es war ein Inneres Kind. Warum tritt Madonna beim Song-Contest auf, wo sie peinlich falsch singt? Weil sie bewundert werden will, weil ihr Inneres Kind noch immer nicht genug davon hat. Politiker, Unternehmer, Künstler: Sie halten sich für vernünftig und rational, aber ihre Vernunft steht im Dienst ihrer Emotionen.

Welche Rolle spielt das Innere Kind bei der Partnerwahl?

Eine große. Nehmen wir an, ein kleines Mädchen hat den Vater verloren, er starb bei einem Unfall. Das Mädchen hat den Vorfall emotional so gedeutet: „Männer gehen sowieso“ und daraus den Schluss gezogen „vertrau dich keinem Mann an“. Die spätere Erwachsene macht nun die Erfahrung, dass sie keine langfristige Beziehung hinbekommt, weil sie innerlich Distanz zu Männern hält. Das Innere Kind sorgt für die Reproduktion der damaligen Erfahrung, allein zu sein. Nun nimmt die erwachsene Frau Kontakt mit ihrem Inneren Kind auf – mit dem kleinen Mädchen oder exakter ausgedrückt, mit ihren misstrauischen Gefühlen. Dann kann sie das Kind an der Hand nehmen und es bei Kontakt mit Männern zugleich ermutigen und beschützen. So werden neue Erfahrungen möglich, an deren Ende eine Umdeutung steht: „Es gibt Männer, denen man vertrauen kann. Liebe ist möglich.“

So löse ich Probleme auf?

Der Sinn der Beschäftigung mit dem Inneren Kind besteht darin, Verstand und Gefühl in Übereinstimmung zu bringen. Aber man kann nicht nicht mit dem Verstand und den Gefühlen sprechen. Wenn man diesen Kräften – bezogen auf bestimmte Situationen – aber Namen gibt und dazu gehörige Verhaltensbeschreibungen, dann kann man mit diesen Kräften umgehen und in Kontakt mit ihnen treten. Dazu dienen auch Übungen, die ich im Buch zur Verfügung stelle. Es geht darum, dass sich der eigene Verstand zu den eigenen Gefühlen verhält wie ein liebevoller Erwachsener, der seinem Kind vermittelt, geliebt zu sein.

Und wann spüren Sie Ihr Inneres Kind und wie zeigt es sich?

Beispielsweise, wenn ich mich mit meiner Freundin verabreden möchte, sie aber an dem Tag alleine sein will. Dann fühle ich mich schnell ungewollt und werde trotzig. Gott sei Dank kenne ich meinen Kleinen inzwischen so gut, dass ich ihn annehmen kann. Wir machen dann etwas anderes Schönes.

 

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„Frieden schließen mit dem Kind in uns“:

Michael Mary, Verlag Piper, 16 €.

Zum Buch gibt es den Online-E-Learning-Kurs  „Umgang mit dem Inneren Kind“:  michaelmary.de