Leben/Gesellschaft

Als Domina muss man schauspielen

Züchtig, in hochgeschlossenem Pulli und mit Perlenkette kommt Nala Martin (33) in ein Wiener Kaffeehaus. Die feuerroten Haare sind zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Die Informatikerin, Domina und Autorin, die ihren neuen SM-Roman „Panic Snap“ vorstellt, wurde in Niederösterreich als Tochter eines Bauingenieurs und einer Heilpädagogin geboren. Um ihr Informatikstudium finanzieren zu können, arbeitete sie als professionelle Domina. Jetzt lebt sie mit ihren beiden Kindern (2, 7) und ihrem Verlobten in Tötensen bei Hamburg. Dieter Bohlen wohnt in der Nachbarschaft.

KURIER: Sie sind erfolgreiche Buchautorin. Arbeiten Sie noch als Informatikerin oder Domina?
Nala Martin: Kaum noch. Ich habe keine Zeit. Als Informatikerin ab und zu, wenn mich ein Projekt reizt. Als Domina betreute ich noch einige Stammgäste. Das hat jetzt auch ein Ende.

Wie haben Sie Ihren Mann kennen gelernt?
Er hat für uns die sanitären Anlagen gemacht. Ich war damals hochschwanger mit meiner Tochter, aber das hat er nicht einmal bemerkt, da er mir nur in die Augen geguckt hat (lacht). Zu dem Zeitpunkt war ich vom Vater meiner Tochter schon getrennt. Ein Jahr hat er uns nach der Geburt Zeit gelassen, dann hat er sich wieder gemeldet.

Haben Sie ihm gleich erzählt, welchen Beruf Sie haben?
Ja, das hat er alles erfahren. Er hat immer gesagt, das ist dein Beruf, dein Leben. Zu diesem Zeitpunkt hab ich den Beruf auch noch ausgeübt, auch nach der Geburt noch. Ich hab immer zu ihm gesagt, wieso soll ich meinen Job aufgeben, stell dir vor das wird nichts mit uns, dann steh ich ohne Mann und ohne Geld da. Ich hab auch als Informatikerin gearbeitet, aber es gibt gewisse Jobs, die den Spaß im Leben finanzieren, und mir hat dieser Job als Domina sehr viel Spaß gemacht.

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Ist Ihr Lebensgefährte nicht eifersüchtig?
Er nicht. Ich hab das ganz oft erlebt bei Kolleginnen, dass die von heute auf morgen aufgehört haben, weil der neue Freund das nicht wollte. Meistens sind sie nach ein paar Wochen wieder gekommen, weil sie vom Freund verlassen wurden.

Früher war SM ein Tabu-Thema, wurde es durch den Hype von Fifty Shades of Grey, dem US-Bestseller, gesellschaftsfähig?
Das SM-Thema kommt immer in Wellen. Ich kann mich an die Talk-Shows der 90er erinnern.

Sex sells ...
Ja, das ist ganz klar. Das hat mit unserer Freiheit zu tun. Durch Fifty Shades of Grey verkaufen sich auch die anderen Bücher sehr gut. Vom Inhalt ist es nicht meins, ich mag die Märchengeschichten nicht. Das ist mir zu blass und zu leidend.

Was ist der Unterschied zwischen Ihrem Buch und Fifty Shades of Grey?
Das ist Fan-Fiction von Twilight. Die Darsteller sind jugendlich, schön, reich, mächtig. Das zweite ist, dass der BDSM (Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism), der in Fifty Shade beschrieben wird, in der Tat nicht der ist, den jemand, der diese Neigung hat, so leben würde. Man würde niemals einen Menschen, der kein Interesse daran hat, dazu drängen, diese Praktiken zu machen. Das ist ein No-Go. Der Protagonistin hat eigentlich keinen Spaß daran. Sie ist das klassische Antibild eines SMers. Meine Bücher sind keine Märchen, das kann überall passieren. Die Sessions, die ich beschreibe, sind nachstellbar.

Dominas sind keine Prostituierten?
So ist es. Bei SM passieren in der Regel keine sexuellen Handlungen. Wenn mir aber einer gefiel und ich Single war, hab ich das aber schon gemacht. Man kann Sex aber nicht als Zusatzleistung kaufen. Man kauft die Praktik, die Dominanz, die Illusion. Es ist natürlich eine Show. Vorher wird alles besprochen: Was gefällt dir, was gibt’s für Tabus? Wenn ich etwas mache, das mein Gast nicht aushält, sagt er „Gnade, Herrin!“ und ich drossle das Tempo runter und geh einen anderen Weg.

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Waren Sie immer der aktive, der dominante Part?
Ich hab am Anfang ausprobiert, als Switcherin zu arbeiten, also zu wechseln, aber ich hab festgestellt, dass das nicht das ist, was sich die Männer darunter vorstellen.

Sprechen Sie über Geld?
Geld ist immer Tabuthema – man hat es, oder man hat es nicht. Es ist ein gutes Geschäft, aber auch ein anstrengender Job. Man ist dort angestellt und bekommt für jeden Kunden Provision.

Sie waren Domina in einem Studio, wie Sie das nennen. Wie viele Gäste hatten Sie pro Tag?
Als Prostituierte kann man jede Viertelstunde einen neuen Mann haben. Der Job als Domina ist geistig aber so fordernd – man muss sich auf den Gast einlassen, man muss schauspielen. Ich hab immer gesagt, drei oder vier Gäste maximal. Ich war aber auch nie die ganze Woche da, ich hab immer nur ein paar Tage gearbeitet. Ich wollte auf die Gäste eingehen und nicht wie am Fließband arbeiten.

Wie kamen Sie auf die Idee, Domina zu werden?
Angefangen hab ich vor zehn Jahren, da war ich 23. Ich war in der privaten SM-Szene schon vertreten und hab dann zufällig die Annonce eines renommierten Hamburger Studios gesehen. Da hab ich ein Jahr lang alles gelernt, was man für den Job braucht.

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Ihre Klientel ist bunt gemischt?
Das sind ganz normale Menschen. Eigentlich ist man auch Psychologin. Für diese eine Stunde ist man genau die Partnerin, die der Mann sich wünscht. Deshalb ist das Vorgespräch fast wichtiger als die Session selbst.

Weiß man, wie viel Prozent der Bevölkerung SM praktizieren?
Ich habe keine Zahlen, aber ich glaube, dass es mehr sind, als wir denken. Viele wissen nicht, dass das, worauf sie stehen, auch einen Namen hat. Ich kenne einen Mann, der seiner Frau mit dem Bambusstock aus dem Blumentopf gern mal über den Hintern haut. Irgendwann war ich so frech und hab gesagt, dir ist aber schon klar, dass man das SM nennt. Er hat gesagt, nein, das ist kein SM, SM ist ja pervers.

Wann haben Sie Ihren Eltern von Ihrem Beruf erzählt?
Ich hab das immer so nebenbei erwähnt. Meine Eltern (der Vater ist Bauingenieur, die Mutter Heilpädagogin, Anm.) und meine fünf Geschwister sind da extrem entspannt. Dann wurde mein erstes Buch ein Bestseller und ich musste meine Familie vorwarnen, dass der Medienrummel eventuell doch größer ausfallen könnte.

Hat Sie Fiftiy Shades of Gray inspiriert, ein Buch zu schreiben?
Nein. Schreiben war schon immer meine Leidenschaft, ich hab auch immer schon Kurzgeschichten geschrieben. Aus einer Kurzgeschichte wurde dann eben ein ganzes Buch und ein Bestseller.

Fließt viel Autobiografisches in Ihre Bücher?
Einiges ist autobiografisch, einiges aus meiner Fantasie, einiges aus Erzählungen oder von Dingen, die ich gesehen und mich beeindruckt haben.

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Können Menschen nach der Lektüre Ihrer Bücher besser zu ihrer Neigung stehen oder sich sogar outen?
Ja sicher. Bei den meisten kommt die Neigung stufenweise an die Oberfläche. Erst drängen sie sie weg, weil es mit ihren Moralvorstellungen nicht vereinbar ist. Und dann gibt es Menschen, die sich Literatur beschaffen, recherchieren und dann feststellen, es gibt genug Männer mit der gleichen Neigung.

Reden die Leute dann darüber?
Ich habe viele Gäste im Studio gehabt, die ihre Frau nicht informiert haben. Das ist legitim.

Warum?
Wenn alles passt in der Ehe, zu 99 Prozent, nur dieses eine Prozent nicht und man weiß, wie die Partnerin diesem Thema gegenüber steht, dann geht man dieses Risiko nicht ein.

Ist das nicht Betrug?
Es steht mir nicht zu, das zu bewerten. Ich weiß, je älter die Menschen werden, umso toleranter werden sie. Es gibt Frauen, die wissen, dass ihre Männer ins Studio gehen. Solange es nur die emotionale Distanz einer Professionellen ist, ist alles in Ordnung.

Ist es ein Vorurteil, zu sagen, Männer, die im Beruf dominant sind, gehen privat gerne zu Dominas?
Ja, sie stimmen nicht. SMer sind eine Randgruppe und eine Randgruppe ist immer ein Querschnitt einer Gesellschaft. Jeder in dieser Randgruppe spiegelt die Gesellschaft wider. Das heißt, die devote Neigung kommt in allen Gesellschaftsschichten vor. Vom Hilfsarbeiter bis zum Unternehmer. Aber: Manager können es sich finanziell besser leisten, öfter ins Studio zu gehen und werden dadurch als Stammgäste bewertet, während ein Harz4-Empfänger, der sich das ein Mal im Jahr abspart, nicht als Stammgast bewertet wird. Da liegt die Krux. Daher kommen diese Vorurteile. Ich habe einfach zu viele Gäste gehabt, dass ich sagen könnte, die meisten sind Manager. Das ist Blödsinn.

Beschreiben Sie Ihre Studiogäste ...
Es gibt nicht den typischen Studiogänger. Aber es gibt ein typisches Studiogänger-Alter. Er ist im Durchschnitt Mitte 40 bis 60. Davor haben sie Familie und Kinder. Dann kommt das Ausleben der Neigungen.

Wird es weitere Bücher von Ihnen geben?
Ja, es handelt nicht von SM. Meine Freundin, 28, ist an Mukoviszidose erkrankt. Eine tödliche Krankheit. Sie hat eine sanfte Form. Gemeinsam werden wir Mukoviszidose-Erkrankte begleiten. Meine Freundin wird fotografieren, ich die Biografien schreiben. Das ist ein Projekt, an dem mein Herz hängt.Wir wollen zeigen, dass man mit dieser Krankheit auch durchaus ein Leben hat, das lebenswert ist.

Wie vereinbaren Sie Beruf und Kindern?
Der Kleine ist im Kindergarten, die Große in der Schule. In der Zeit kann ich sehr entspannt schreiben. Mein Verlobter kümmert sich um die Kinder, wenn ich auf Reisen bin.

Haben Sie mit Ihrer Tochter über Ihren Beruf als Domina gesprochen?
Nein, ich schirme das komplett von meinen Kindern ab. Sie sind noch nicht alt genug. Außerdem klärt man Kinder auf und erzählt ihnen nicht von seinen Sexpraktiken.

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Aber es ist ja nicht nur eine private Sexpraktik, sondern Ihr Beruf.
Das hab ich jetzt auch herunter gedrosselt. Aber ich bin 33 Jahre alt und irgendwann muss man damit abschließen. Ich habe noch so viele Ideen.

Welche?
Ich will fotografieren. Und ich möchte ein Buch über die ersten Jahre als Alleinerzieherin mit meiner Tochter schreiben. Mein Leben war damals von Höhen und Tiefen geprägt.

Wie funktioniert das Fernhalten in der Schule und im Kindergarten?
Ich habe mit den Lehrern gesprochen. Die finden das gut, dass ich sie abschirme, denn sie erfahren es noch früh genug. Sobald sie das Internet nutzen, werde ich mit ihnen sprechen.

Was sagen Sie, wenn Ihre Tochter in 15 Jahren auch Domina werden will?
Viel Spaß. Solange sie es aus eigenem Antrieb macht und es für sie damit glücklich wird, soll sie es machen.

Wie leben Sie in Hamburg?
Wir haben uns ein Haus gekauft, sehr schön, etwas abgeschieden in dem beschaulichen Örtchen Tötensen, ich weiß nicht, ob es bekannt ist, ich hab einen berühmten Nachbarn (Anm.: Dieter Bohlen). Dort lebt es sich sehr entspannt.


Sie wohnen in der selben Straße wie Dieter Bohlen in .... Wie gut kennen Sie ihn?
Man sieht sich, man grüßt sich nett. Mein zweijähriger Sohn und seine Tochter werden in der Grundschule zusammen sein.

Was macht Ihr Mann beruflich?
Er hat ein eigenes Unternehmen als Heizungsbauer, Dachdecker und Fliesenleger. Er arbeitet viel, macht vieles noch selber. Mit 24 Jahren war er Meister, er ist sehr zielstrebig. Wir haben den Bungalow aus den 60er-Jahren gekauft und alles selber renoviert. Da muss ich schwärmen, ein Traum, Fußbodenheizung, schöne Fliesen, das perfekte Bad, mit einer Wanne, da können wir mit den Zwergen drin sitzen.

Ihr neues Buch heißt Panic Snap, was ist das?
Das ist ein Panik-Haken, kommt aus dem Pferdesport, damit man den Strick mit einem Griff aufmachen kann, auch wenn ein großes Zuggewicht drauf ist. Dieser Panik-Haken wird auch bei Fesselungen im SM-Bereich benutzt.

Ist schon einmal etwas passiert?
Nein, toitoitoi, mir noch nicht. Ich mache aber auch nicht die Praktiken, die ich nicht verantworten kann.

Buchtipp
Nala Martin, „Panic Snap“, die Fortsetzung ihres erfolgreichen SM-Romans „Safeword“,
Verlag Anais, 10,30 Euro