Kondom abgezogen: Mann in Berlin wegen "Stealthing" verurteilt
In Deutschland ist erstmals ein Mann wegen "Stealthing" nicht rechtskräftig verurteilt worden. Das berichten unter anderem die Online-Nachrichten-Plattformen jetzt.de und spiegel.de.
Ungeschützter Sex – gegen den Willen der Frau
Mit Stealthing wird die Praktik bezeichnet, wenn Männer absichtlich und ohne Einverständnis ihrer Sexualpartnerin während des Geschlechtsverkehrs das Kondom entfernen. Bei einem Gerichtsverfahren mit ähnlichem Tatbestand wurde im Jänner 2017 ein Mann in der Schweiz wegen Vergewaltigung verurteilt. Der 47-jährige Franzose bekam vor dem Strafgericht in Lausanne eine einjährige Bewährungsstrafe auferlegt. Vor Gericht hatte der Angeklagte ausgesagt, "vergessen" zu haben, ein Kondom überzuziehen.
Am Amtsgericht Berlin-Tiergarten wurde nun eine Bewährungs- und Geldstrafe gegen einen 37-jährigen Bundespolizisten ausgesprochen – aber eben nicht wegen Vergewaltigung, sondern wegen Stealthing. Das Urteil ist in dieser Ausführung in Deutschland eine Premiere: "Mir ist kein Fall bekannt, in dem ein Gericht schon mal darüber entschieden hätte", wird die Gerichtssprecherin vom Spiegel zitiert.
Geschlechtsverkehr an sich einvernehmlich
Das Berliner Gericht entschied, dass es sich nicht um eine Vergewaltigung handle, weil "der Geschlechtsverkehr an sich einvernehmlich" gewesen sei, wie die Gerichtssprecherin mitteilte. Dass der Mann während eines Stellungswechsels unbemerkt das Kondom abgezogen und den Sex mit der Frau von hinten ungeschützt fortgesetzt habe, ändert daran laut Gerichtsentscheid nichts.
Die Frau habe die Verhütung mittels Kondom zwar zur Bedingung gemacht. Strafbar war dem Gericht zufolge aber nur das Weglassen des Kondoms als unerlaubte sexuelle Handlung, nicht die Penetration.
In den USA gibt es für derartige Übergriffe bereits eine Definition: "reproductive coercion", zu Deutsch "reproduktive Nötigung". So definiert die US-amerikanische Verband der Hebammen und Gynäkologen reproduktive Nötigung als Verhalten, das nicht nur "die eindeutigen Versuche den Partner gegen seinen Willen zu schwängern, beinhaltetet". Auch Versuche den Partner zum ungeschützten Geschlechtsverkehr zu zwingen oder Methoden der Empfängnisverhütung zu beeinflussen, werden darunter subsummiert. Oft kommt es im Zuge von häuslicher Gewalt zu derartigen Handlungen, die auch Kontrolle und Macht demonstrieren sollen.
Auch in Europa brach nach dem eingangs erwähnten Urteil von Lausanne eine Diskussion über Stealthing aus. In Schweden gilt Sex ohne Kondom gegen den Willen der Frau ebenso als Vergewaltigung. Dieser Vorwurf wurde etwa gegen Wikileaks-Gründer Julian Assange erhoben.
Gesundheitsrisiken und Scham
Im konkreten Fall bemerkte die Frau, eine Polizeimeisteranwärterin, das Fehlen des Kondoms erst nach der Ejakulation des Mannes. Sie zeigte den Mann an, weil sie sich missbraucht fühlte und durch den ungeschützten Geschlechtsverkehr gegen ihren Willen das Risiko einer ungewollten Schwangerschaft oder Ansteckung mit einer Geschlechtskrankheit um ein Vielfaches erhöht war.
Für die Opfer bedeutet Stealthing nicht nur ein physisches Risiko, sondern auch die Konfrontation mit der Scham und psychischem Leid, die mit sexuellen Übergriffen verbunden sind.
Gegen das Urteil des Amtsgerichts hat die Verteidigung bereits Rechtsmittel eingelegt. Möglich sind nun eine Berufung vor dem Landgericht oder auch eine Sprungrevision zum Kammergericht. Dabei dürfte der Bundespolizist glimpflich davongekommen sein. Wäre er wegen Vergewaltigung verurteilt worden, hätte ihm angesichts der Mindeststrafe von zwei Jahren die Entfernung aus dem Staatsdienst gedroht.
Sexualstrafrecht in Österreich
Generell gibt es keine einheitliche Definition des Rechtsbegriffs der Vergewaltigung, die juristische Bewertung ist je nach Land unterschiedlich. In Österreich ist die Vergewaltigung im § 201 StGB (Strafgesetzbuch) unter Strafe gestellt. Neben dem Straftatbestand der Vergewaltigung gibt es ergänzend den § 202 StGB Geschlechtliche Nötigung.
Hierzulande sind Vergewaltigung und sexuelle Nötigung im Strafgesetzbuch also gesondert geregelt. Wird eine Person mit Gewalt, durch Entziehung der persönlichen Freiheit oder durch Drohung zum Geschlechtsverkehr oder einer geschlechtlichen Handlung gezwungen, ist eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren vorgesehen. Zieht die Tat Körperverletzung und/oder eine Schwangerschaft mit sich, erhöht sich das Strafmaß. Das gilt auch, wenn die vergewaltigte Person längere Zeit qualvollem Leid ausgesetzt oder in besonderer Weise erniedrigt wird. Wer andere gewaltvoll oder durch Drohung zum Sex nötigt, riskiert eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren.
Darüber hinaus gibt es seit Anfang 2016 einen neuen Tatbestand: Strafbar ist demnach, wer sexuelle Handlungen gegen den Willen einer anderen Person vornimmt, auch wenn es zu keiner Gewalt oder Drohung kommt. Selbiges gilt, wenn eine Person unter Ausnützung einer Zwangslage sexuelle Handlungen vornimmt.