Kiku

Frosch muss vor Storch flüchten

Rasha Ahmad schneidet an einem Schaumgummi-Oval herum, klebt weiße Watte und ebensolchen Stoff auf das Ding. „Da kommt dann noch blauer Stoff drüber“, erklärt die Künstlerin dem Kinder-KURIER. „Das wird eine Gummi-Ente und damit die Kinder die nicht mit der echten Ente verwechseln, bekommt sie eine andere Farbe!“, deutet sie auf die gelbe Ente, die neben Fröschen, einer Kröte und zwei Fischen auf Holzstäben an einer Holzwand lehnen. Links davon an einem Gestell hängt der Storchenkopf mit seinem großen Schnabel.

Wir befinden uns im Keller unter dem Figurentheater Lilarum in Wien-Landstraße. Hier sind die Werkstätten für den Figuren- und Kulissenbau. Während Rasha Ahmad an den Figuren für das nächste Stück arbeitet, werkt ihre Kollegin und Freundin Sadekka Shrekka an den Kulissen. Für die Ampel in dunklen Farben malt sie nun an einer quadratischen Platte mit hell strahlendem Grün – „wenn das grüne Licht leuchtet, damit die Straße überquert werden kann, wird diese Tafel vor die blassere geschoben“. Danach vermisst sie Holzleisten, sägt und schleift sie in einem anderen Werkstattraum ab. Das werden Verstärkungen für das Abflussrohr aus der Badewanne.

Auf der Suche nach einer (neuen) Heimat

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Die beiden Künstlerinnen sind im Endspurt. Wenige Tage nach dem Besuch des Kinder-KURIER in der Figurentheater-Werkstatt steht die Premiere des neuen Stücks auf dem Programm: „Der wunderbarste Platz auf der Welt“ von Jens Rassmus. Das vor 12 Jahren erstmals erschienene Bilderbuch des 50-jährigen deutschen Autors und Illustrators, wurde im Vorjahr in einer Deutsch-Arabischen Version - Aǧmal makān fi-l-ālam – und heuer in einer weiteren zweisprachigen Fassung -Deutsch-Dari (Farsi; Persisch): Behtarin makan ru-ye zamin – herausgebracht.

Kurz die Story: Die Welt ist für Frosch Boris in bester Ordnung – bis der Storch ihn aus seinem Teich vertreibt. So muss der Frosch flüchten und sucht eine neue Heimat. Gar nicht so leicht: Im Karpfenteich will man ihn nicht, die Kröten nehmen ihn nicht auf und auch bei den Enten kann er nicht lange bleiben... Schließlich trickst er zusammen mit dem Molch den Storch aus und kehrt in seinen Teich zurück – den wunderbarsten Platz auf der Welt...

Kunststudien in Syrien

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Das Figurentheater Lilarum spielt eine dramatisierte Fassung des Bilderbuchs (7. bis 22. Oktober) – und engagierte für die Produktion der Figuren und Kulissen die beiden genannten Künstlerinnen. Beide flüchteten gemeinsam vor nicht ganz zwei Jahren aus Syrien. Rasha Ahmad (34) wurde in Damaskus geboren, lebte in Safita City bei Tartous im Nordwesten des Landes. Sadekka Shrekka (25) wuchs in der Hafenstadt Latakia auf. Sie studierte Bildhauerei. Rasha Ahmad studierte Gestaltung mit unterschiedlichsten Materialien. „Wir haben uns bei einem Workshop in Damaskus kennen gelernt. Sadekka war mein Boss“, erzählt Rasha Ahmad verschmitzt. „Nicht Boss, wir haben gemeinsam gearbeitet“, kontert Sadekka Shrekka lächelnd. Wie auch immer 2015 wurde die Situation endgültig unerträglich. „Wir mussten uns vor den islamistischen Gruppen noch mehr fürchten als vor dem Regime und sind geflüchtet. Wir hatten Glück und konnten mit Hilfe der UNO in Bussen weg.“ Zwölf Tage später landeten sie im Dezember 2015 in Österreich.
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Nach einigen Deutschkursen „haben wir zufällig über einen Schauspieler Kontakt zu Paul Kossatz (wirtschaftlicher und technischer Leiter des Lilarum). Als die beiden ihre Papiere als anerkannte Aslywerberinnen hatten, „haben wir zuerst über das AMS ein Praktikum hier im Theater gemacht und sind jetzt für zwei Monate angestellt, alles ganz offiziell und legal“, freuen sie sich, auch einschlägig in ihrer Sparte arbeiten zu können, so Rasha Ahmad. „Obwohl für ein Theater zu arbeiten, ist doch neu. Aber es ist schön, auch was neues lernen zu können“, ergänzt Sadekka Shrekka während sie auf einer weiteren Holzleiste anzeichnet, wo sie abgesägt werden muss.

Viel Freiraum

„Wir haben hier im Theater auch Hilfe bekommen, wo es nötig ist, aber vor allem lässt uns das Lilarum sehr viel Freiraum, schreibt uns nicht vor, wie Figuren und Kulissen ausschauen müssen, oder wann wir arbeiten. Es muss nur am Ende alles rechtzeitig fertig werden und natürlich gut sein. Aber das ist klar, das wollen wir ja selber.“

Eigene wunderbarste Plätze

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Der Kinder-KURIER will von den beiden Künstlerinnen wissen, was angesichts des Stücktitels ihr eigener wunderbarster Platz auf der Welt ist. „Überall, wo wir in Sicherheit und Freiheit leben können und idealerweise unsere Kunst machen dürfen.“

Ob es in ihrer Kindheit wunderbarste Plätze gegeben habe, fragt der KiKu auch noch. „In der Natur“, beginnt Sadekka Shrekka. „Wir haben in der Stadt gewohnt, aber am Wochenende bin ich am liebsten mit meinem Vater in das Dorf gefahren, wo er sich um seine 400 Zitronen- und Orangenbäume gekümmert hat. Dort war ich immer sehr gerne.“

Fotos vom Werkstatt-Besuch

Ihre Kollegin Rasha Ahmad hatte einen ganz anderen wunderbarsten Platz: „Am liebsten irgendwo in meiner Fantasie – wo ich tun und lassen konnte, was ich will, meinen Träumen nachhängen oder genauso hexen wie allen anderen auf der Welt helfen konnte. Irgendwie ist diese Werkstatt auch fast so ein Ort.“

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