Kiku

Wenn Feminismus nervt ... – schafft Sexismus ab!

Feminismus nervt ...“, sagt die Künstlerin auf dem Hochsessel hinterm Mikro und verwirrt damit für einige Momente. Meint sie das jetzt wirklich so? Oder kommt da noch was, das den Satz ins Gegenteil wendet? „... weil er recht hat“, setzt Sarah Bosetti nach einer Kunstpause fort, „wie der kleine Streber aus der ersten Reihe, der sogar dem Deutschlehrer auf die Nerven geht, wenn er immer alles grammatikalisch richtig sagt und die anderen ausbessert. Es wäre so leicht sich vom Feminismus zu befreien, so die in Berlin lebende Kabarettistin, die das diesjährige Satirefestival im Theater Forum Schwechat eröffnete. „Einfach den Sexismus abschaffen“ – bringt‘s Bosetti auf den Punkt. Oder würde es, um ein Unternehmen zu leiten oder ein Auto zusammenzuschrauben einen Penis brauchen? „Meines Wissens nicht und wenn doch, geht nach Hause dreht ein YouTube-Video und werdet damit reich!“

Humorvolles rund ums Scheitern

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Das Verhältnis von Frauen und Männern, ja generell Beziehungen ist eines der Themen, mit dem sich die Künstlerin mit Witz – und immer wieder Selbstironie auseinandersetzt. Das Überthema dieses Abends nennt sie „scheitern“. Viel davon liest sie aus ihrem jüngsten Buch „Ich bin sehr hübsch, das sieht man nur nicht so“ mit dem Untertitel „Von einer, die auszog, das Scheitern zu lernen“. Die nicht ganz 200 Seiten schildern Episoden eines fiktiven Silvesternachmittags und -abends von einer Frau, die kaum bis keine Freundinnen oder Freunde hat. Im Gespräch mit dem KiKu stellt die Künstlerin, die sich „gar nicht so sehr als Kabarettistin, sondern eine Autorin, die ihre Texte vorträgt“ sieht, klar: „Der ganze Silvesterabend ist komplett erfunden. Aber ich sage über meine Geschichten generell: Alles ist wahr, aber nichts davon ist wirklich so passiert. Ganz Vieles basiert auf wirklichen Geschichten, einiges ist auch völlig erfunden, mit dem ich aber trotzdem versuche, was Wahres auszudrücken.“

Familienurlaub

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Zum Brüllen komisch fand das Publikum – der Funke zwischen Bühne und Auditorium sprang nicht immer ganz leicht über – Bosettis nach ironischer Selbsteinschätzung beste Geschichte, die sie je geschrieben hatte über einen Familienurlaub. Mit einer Mutter und Ehefrau mit Schnellsprechdurchfall. Bei „Guck mal, die Boote“, in der die Protagonistin alle niederredet und dennoch die Sprachlosigkeit aller Familienmitglieder auch ihre eigene zu spüren ist, fanden viele im Publikum offenbar die eine oder andere Facette, die ihnen gut bekannt vorkommen könnte.Auf eine schräge Art faszinierend Bosettis Episode, wo sie in einem Anatomiebuch blättert und Ähnlichkeiten zwischen dem Aussehen von Gehirn und Darm findet. „Das Gehirn sieht aus wie ein in Kopfform gepresster Dickdarm. Und dann kam mir der Gedanke, dass Gott vielleicht bei einigen Menschen genau diese beiden Dinge ... Und dann hat man plötzlich Menschen, die nur Scheiße denken, aber dafür klugscheißen können... wie logisch einem die Welt erscheint, wenn man das im Kopf behält! Beziehungsweise im Darm, je nachdem, zu welcher Sorte man gehört.“

Klassenbeste

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Mit einem Trick umging die Künstlerin am Eröffnungsabend das, was manchmal ein peinliches gegenseitiges Belauern zwischen Publikum und Akteur_in sein könnte: Warten ob genügend applaudiert wird, um eine Zugabe zu liefern. Nach einer Kunstpause präsentierte sie die Geschichte von der Klassenbesten. Der Vater lobt sie dafür, aber... – wieder nicht genug. Bosettis Antwort der Tochter hat’s in sich! Die ganze Geschichte kannst du weiter unten lesen – die Autorin stellt sie unseren User_innen zur Verfügung.

Bosetti studierte in Brüssel Filmregie. Im Gespräch mit dem KiKu erklärt sie, warum sie das studierte und jetzt doch etwas ganz anderes und doch ähnliches macht. „Ich habe festgestellt, dass Film vieles kombiniert, was ich gerne mag: Etwas mit Bild, Ton und das sogar auf eine musikalische Art und Weise, weil Schnitt ja immer etwas Rhythmisches hat, auszudrücken, finde ich faszinierend, weil Film das alles kombiniert. Aber jetzt habe ich die für mich noch passendere Form gefunden, Geschichten zu erzählen. Film bedeutet immer auch, dass man von etwas Unfertigem so überzeugt sein muss, dass man mindestens 20 andere Leute davon überzeugen kann, weil man ja Geld braucht, um den Film realisieren zu können. Das Schöne an dem was ich jetzt mache ist, ich schreib eine Geschichte, hab die fertig, geh zuerst zu einer kleineren Bühne und probier die dort aus. Der Text hat dann schon seine Bestimmung gefunden, ohne dass ich da noch mit anderen Leuten drüber reden muss. Das hat so was Unkompliziertes, hängt von niemandem anderen so stark ab.“

Vom Film zum Schreiben

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Begonnen habe der Wechsel durch den Umzug nach Berlin. Dort sei sie in die Lesebühnenszene hineingeraten. Autorinnen und Autoren treffen einander, tragen sich gegenseitig ihr Geschichten vor, Gäste werden auch eingeladen, bei manchen gebe es Offene Mikrofone. Fast immer handle es sich um lustige Prosa-Geschichten. In der Poetry-Slam-Szene sei sie – bei weitem nicht ganz so oft auch gewesen. Nach monatelangem Zuhören, habe sie sich auch das eine oder andere Mal mit inzwischen aus Alltagsbeobachtungen abgeleiteten Geschichten ausprobiert, Schritt für Schritt sei sie dann bei ihrem nunmehrigen Beruf gelandet. Zum Filmen komme sie nicht mehr, „aber das ist ein Luxusproblem – etwas nicht mehr machen zu können, weil sie etwas anderes mache, das ihr total Spaß bereite. Damit sei sie nicht nur zufrieden, sondern geradezu glücklich.

Inhalte

Sarah Bosetti will aber nicht nur mit aneinander gereihten Gags die Menschen zum Lachen bringe, sondern „natürlich“ auch inhaltliche Anliegen vermitteln, Kunst ist eine Form der Kommunikation und ohne Inhalte ist die langweilige, da würde ich mich auch selber nur langweilen“. Es sei aber nicht so, dass zuerst ein Inhalt da sei, zu dem sie zwanghaft Geschichten sucht. Beim ihr sehr wichtigen Thema Feminismus erlebe sie immer wieder auch – neben vielen positiven Reaktionen auch durchaus unerträglich beleidigende Postings.

Reizwörter

„Das ist ein Reizwort für viele, bei denen bei einigen Leuten richtig die Sicherungen durchbrennen.“ Insofern schätze sie jedenfalls die #metoo-Bewegung. „Es ist zwar illusorisch, nur weil grade mal wieder eine Sexismus-Debatte aufbrandet, würden sich alle Probleme lösen, das glaub ich nicht. Was aufbrandet kann wieder abbranden, falls das jetzt ein Wort ist. Aber ich glaube halt, es ist schon was Wichtiges erreicht. Schritt für Schritt verändern sich die Dinge. Zu glauben, alles wäre jetzt schon erreicht wäre naiv. Aber dass es gar nichts bringt, wäre zynisch. Ob Feminismus oder Demokratie, darum muss ständig neu gekämpft werden, weil das alles furchtbar anstrengend ist. Ein Teil von uns allen findet es ja viel bequemer, weniger Verantwortung zu tragen – das ist ein Drang wahrscheinlich in allen Menschen. Einige geben sich dem eben mehr hin als andere.“

Sie stelle sich immer wieder die Frage, wie sie gerade jene Leute erreichen könne, denen die Sicherungen durchbrennen. „Aber immerhin kommt es bei Texten zu den Reizwörtern zu Diskussionen. Und Diskussion zu entfachen, das ist schon mal gut.“

Ich stehe vor einer Schule. Ein kleines Mädchen kommt aus dem Schulgebäude und läuft seinem Vater in die Arme.

„Papa, ich bin Klassenbeste im Buchstabieren!“, ruft es. Der Vater wirbelt das Mädchen durch die Luft, setzt es wieder ab und sagt: „Krass. Meine Tochter! Du bist also besser als alle anderen in deiner Klasse. Toll. Aber was ist mit deiner Parallelklasse? Bist du auch besser als die? Ich meine, kann ja sein, dass du einfach nur zufällig in einer sehr dummen Klasse gelandet bist. Und wenn du in die Parallelklasse gehen würdest, wärst du total untergegangen. Und wieso vergleichst du dich überhaupt nur mit Gleichaltrigen? Reicht es dir wirklich, für dein Alter ganz okay zu sein? Und was wäre wohl, wenn es keine reine Mädchenschule wäre? Vielleicht hätten Dich ja die Jungs im Buchstabieren plattgemacht. Trittst du nicht die Emanzipation mit Fü.en, wenn du dich damit

begnügst, für ein Mädchen nicht schlecht zu sein? Und hast du deine Lehrerin mal gefragt, wie die vergangenen Jahrgänge in der vierten Klasse abgeschnitten haben? Was wäre deine Leistung noch wert, wenn sie schon vor zwanzig Jahren getoppt worden wäre? Außerdem magst du ja im

Buchstabieren ganz gut sein, aber was ist mit Rechnen? Oder Malen? Ich hab mir das Bild angeguckt, das du gestern mit nach Hause gebracht hast. Das war der hässlichste Regenbogen, den ich je gesehen habe. Was für eine einfache und bequeme Haltung zu den Dingen ist es denn, dich nur mit einer von dir ausgewählten Gruppe zu vergleichen, in einer Disziplin, die dir liegt?

Wirklich, Clara, beim nächsten Mal strengst du dich aber ein bisschen mehr an!“

Das Mädchen guckt seinen Vater an.

„Papa, hast du mich eigentlich lieb?“, fragt es.

„Natürlich“, sagt er. „Mehr als alles andere auf der Welt.“

„Krass“, sagt das Mädchen. „Mehr als alles andere auf der Welt also. Aber was ist mit den Dingen, die nicht auf der Welt sind, aber vielleicht mal waren oder sein werden? Hast du die lieber als mich? Und überhaupt, wieso nur alles auf der Welt? Was für eine einfache und bequeme Haltung zu den Dingen ist es denn, zu glauben, dass die Welt, wie wir sie definieren, alles umfasst, was sein darf? Und wieso ist viel Liebe überhaupt besser als wenig Liebe? Müsste nicht bei der Liebe von allen Dingen die Qualität wichtiger sein als die Quantität? Wirklich Papa, beim nächsten Mal strengst du dich aber ein bisschen mehr an!“

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Sarah BosettiIch bin sehr hübsch, das sieht man nur nicht so

Von einer, die auszog, das Scheitern zu lernen

190 Seiten Verlag rowohlt, rororo Taschenbuch: 10,30 € eBook: 9,99 €

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Das Schwechater SatirefestivalDie Intendantin des Schwechater Theaters Manuela Seidl hat ein breites Programmzusammengestellt, um auch möglichst verschiedene Geschmäcker des Publikums anzusprechen – von Thomas Maurer über Nadja Maleh, Pepi Hopf bis Angelika Niedetzky, Clemens Maria Schreiner, Blözinger, Flo & Wisch, Christoph & Lollo. Jedes einzelne Programm hat sie selbst live gesehen, bevor sie die KünstlerInnen engagierte. Ein Anliegen war ihr „sicherlich, die Frauenquote, die im Kabarett nicht sehr hoch ist, beim Festival zu erhöhen“. Eine Neuerung hat Seidl auch eingeführt, „erstmals haben wir mitten im Festival – 26. bis 28. Jänner – drei Musiktage. Natürlich bringen wir Gruppen mit originellen, teils bissig-bösen Texten, u.a. Manfred Chromy's Texas Schrammeln.

Bis 21. Februar 2018 Theater Forum Schwechat, 2320, Ehrenbrunngasse 24 Telefon: (01) 707 82 72 eMail: theater@forumschwechat.comwww.forumschwechat.com