Leben/Gesellschaft

Wie ein irakischer Mönch den IS austrickste

"Vielleicht handelte es sich ja um göttliche Eingebung", scherzt Pater Michaeel Najeeb. Ende Juli 2014 schwante dem irakischen Dominikanermönch Böses. Bereits sieben Jahre zuvor war er aus seinem Kloster in Mossul nach Karakosh geflohen, nachdem Fundamentalisten fünf Priester und den Bischof getötet hatten. Im Gepäck hatte er damals alle Dokumente, Bücher und Manuskripte aus der Kloster-Bibliothek, der größten des Irak – "mehr als 55.000 Bücher".

In diesen Sommer-Tagen sagte ihm die Eingebung von oben, dass es viel zu gefährlich wäre, die Sammlung in der Region zu lassen. "Ich packte also die Bücher – jedes bestimmt 50 Kilo schwer – abermals in Schachteln und brachte sie nach Kurdistan, nach Erbil."

Nacht des Terrors

Und dann holte ihn der Terror tatsächlich wieder ein: "Zehn Tage später ging es los – in der Nacht von 6. auf 7. August 2014 besetzte der IS Karakosh. Um drei Uhr Früh sahen wir sie kommen – Tausende Autos, schwarze Flaggen, sie versuchten, uns zu attackieren.

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Ich sah viel Menschen fliehen, sprach ein letztes Gebet und dachte, wir sterben", erzählt P. Michaeel im KURIER-Interview. "Ich begann also, mein Auto mit den letzten noch hier verbliebenen Manuskripten zu füllen. Ich bat sogar Fremde: ,Bitte helft mir, ich kann nicht alles alleine tragen.‘ Und so schleppten auch kleine Mädchen Manuskripte aus dem 13. Jahrhundert."

Der Schatz im Kloster

Pater Michaeel ist der Hüter Tausender Manuskripte – Handschriften über Geschichte, Archäologie, Philosophie, christlichen Mystizismus, den Islam, Literatur, Musik, Medizin und Astronomie, verfasst in sieben Sprachen, darunter Aramäisch, Altsyrisch, Arabisch, Armenisch und Latein. Sie gehen zurück ins 11. Jahrhundert, sind Schätze der Buchmalerei und Kalligrafie und Zeugnis der christlichen Kultur zwischen Euphrat und Tigris.

Dank des Dominikaners sind sie vorerst in Sicherheit. Angekommen in Erbil, setzte der Pater das Digitalisieren seiner Schriften fort. Mehr als 8000 Manuskripte sind bereits gesichert. Das dickste hat 1000 Seiten.

Manuskripte der Welt zugänglich machen

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Den Schatz, wie er die Schriften nennt, will er nicht für sich behalten: "Er gehört uns nicht. Er gehört der ganzen Welt und soll Studenten zugänglich gemacht werden. Wenn man ein Buch versteckt, ist es tot. Wenn man es digitalisiert, haucht man ihm neues Leben ein."

An dieser Stelle kommt nun das Internationale Zentrum für Archivforschung (Icarus) ins Spiel, das den irakischen Mönch zu seinem internationalen Workshop ("The cultural heritage of the Middle East: Current threats and scenarios for protection in the future") eingeladen hatte, der dieser Tage in St. Pölten stattfand. "Icarus besteht aus 170 Institutionen auf der Welt, darunter Staatsarchive und Universitäten", sagt Thomas Aigner vom Icarus-Netzwerk. "Die haben die Möglichkeit, Material, Wissen und Arbeitszeit zur Verfügung zu stellen." Was sie auch tun werden.

Hilfe zur Selbsthilfe geben

Man hat eine Kooperation beschlossen und will Vater Michaeel helfen, die Manuskripte in Archiv-Schachteln professionell zu verwahren. In einem nächsten Schritt geht man daran, die Dokumente zu restaurieren. Hilfe zur Selbsthilfe lautet die Devise: "Wir werden die jungen Mitarbeiter des Paters ausbilden. Die Donauuniversität Krems und das kroatische Nationalarchiv haben sich bereits angeboten", sagt Aigner.

Auch bei der dauerhaften, digitalen Sicherung will man behilflich sein, weiters bereits digitalisierte Dokumente auf einer Plattform sammeln und sie so der gesamten Menschheit zugänglich machen. "Bisher konnte ich nur geschätzte fünf Prozent des vorhandenen Materials im Irak digitalisieren", sagt Najeeb. Er will in Zukunft auch Bestände aus anderen Städten wie Bagdad oder Kirkuk sichern.

Kulturelles Erbe sichern

Aigner hält die Situation auch für eine Chance, Allianzen zu schmieden und Kooperationen zu gründen, um die Wichtigkeit des kulturellen Erbes dieser Region ins Bewusstsein zu rücken. "Das, was dort passiert, betrifft auch uns. Denn die Manuskripte – vor allem die aramäischen – sind das Fundament der christlichen Kultur: Das war die Muttersprache von Jesus. Diese Dokumente gehen deshalb uns ALLE an."

Najeeb Michaeel wurde 1955 in Mossul geboren und entstammt einer aramäisch-sprachigen, chaldäisch-
katholischen Familie. (Anmerkung: Etwa1,5 Millionen Christen lebten 2003 im Irak – fünf Prozent der Gesamtbevölkerung).

Der nordirakische Dominikanerpater arbeitet seit 1990 an der Sicherung, Restaurierung und Digitalisierung alter Handschriften, die das parallele Dasein verschiedenster Religionen im Mittleren Osten belegen. Najeeb digitalisierte erst den Bestand seines Heimatklosters in Karakosh, danach Sammlungen anderer Klöster sowie den Bestand des Patriarchen von Bagdad – einmalige Zeug-nisse aus einer Zeit und einer Region, die droht, von Terroristen zerstört zu werden, die nicht nur Menschenleben, sondern jegliches kulturelles Erbe auslöschen wollen. Der KURIER traf den mutigen Mönch anlässlich seines Besuches beim Internationale Zentrum für Archivforschung.