Haussuche in England? Unter einem Dach mit Sherlock oder Frankenstein
Von Anna-Maria Bauer
Beim ersten Vorbeifahren übersieht man es. Versteckt zwischen buschigen Laubbäumen und zurückgesetzt von der Landstraße, muss man – ähnlich dem Hinweis in einem Krimi – genau hinsehen. Vielleicht hat ihn das gereizt.
Innenarchitektin Jane McIntyre wusste es jedenfalls bei den Kaminen. Die kamen als erstes aus dem Faxgerät geruckelt, als ihr die Maklerin vor 16 Jahren das Objekt durchschickte: Bignell Wood, ein Fachwerkhaus eingebettet im New Forest eineinhalb Autostunden von London. Sie wusste: „Das wird unser Familienhaus.“ Vor allem, als sie erfuhr, wem das Haus einmal gehörte. Sir Arthur Conan Doyle war 1920 für Recherchen zu „The White Company“ in den New Forest, Südenglands größtes Weideland, gekommen und verliebte sich wohl in die knorrigen Bäume, die weiten Felder, die Ruhe. Er erwarb die Scheune mit zwei Cottages und ließ sie in ein Landhaus umbauen: Als Geburtstagsgeschenk für seine zweite Frau Jean. Beide liegen heute am nahen All Saints Churchyard begraben. „Ursprünglich am Rand des Friedhofs“, verrät eine Besucherin, „Arthur war ja Spiritualist.“ Vielleicht, munkeln manche, eine Folge seiner jesuitischen Ausbildung im österreichischen Feldkirch.
Arthur Conan Doyle
geboren 1859 in Schottland, wuchs in einer streng religiösen Familie auf und besuchte eine Jesuitenschule im englischen Lancashire und anschließend eine im österreichischen Feldkirch, nur um den katholischen Glauben anschließend zu verwerfen und sich dem Mystizismus zuzuwenden
Bignell Wood
Doyle verbrachte seine letzten Jahre mit seiner zweiten Ehefrau Jean in Bignell Wood. Das Landhaus mit acht Schlaf, -sieben Bade- und zehn Wohnzimmern kommt mit 2,5 ha Land auf 3,36 Mio. Euro
Mary Shelley
geborene Godwin, war Tochter der Frauenrechtsaktivistin Mary Wollstonecraft, die wenige Tage nach der Geburt starb. Mary begann eine Affäre mit dem Romantiker Percy Byshee Shelley und heiratete ihn nach dem Selbstmord seiner Ehefrau. Sie zogen nach einer Fehlgeburt nach Italien, wo ihr zweites und drittes Kind starb, bevor sie ihr viertes, und das einzig überlebende Kind gebar. Als ihr Mann drei Jahre später ums Leben kam, zog sie nach England
Shelley Cottage
Das Stadthaus in Marlow an der Themse verfügt über drei Schlaf-, ein Bade- und ein Wohnzimmer. Es wird um 950.000 Euro angeboten
Auf dem Grabstein liegen Lupe und Pfeife; Andenken an die geniale Romanfigur, die er erschaffen hat: Sherlock Holmes. Regelmäßig, verrät Annabell Bruxner-Randell vom Eckladen vor dem Friedhof, würden Fans nach dem Weg fragen. Und der Open-Top-Bus, der durch den New Forest fährt, weise stets auf den Landsitz hin.
Mit acht Schlaf-, zehn Wohn- und sieben Badezimmern, einem Studierzimmer in Rot (angelehnt an „A Study in Scarlett“) und zweieinhalb Hektar Land war es selbst für die neunköpfige McIntyre-Familie zu groß. Nach zwölf Jahren sanfter Renovierung und mit allen sieben Kindern aus dem Haus ist es Zeit für Veränderung. Über das Maklerbüro Spencers wird um 3,36 Mio. Euro ein Käufer gesucht.
Wandeln in Räumen berühmter Autoren – das ist in England nicht nur in Wohnhäusern möglich, die heute Museum sind: So kann man Jane Austens zwölfeckigen Schreibtisch im Cottage in Chawton oder Dickens’ Holzschreibtisch in seinem Londoner Stadthaus besichtigen. Gleichzeitig stehen regelmäßig Immobilien zum Verkauf. Im Dezember wurde etwa das Herrenhaus in den Cotswolds, in dem Evelyn Waugh „Brideshead Revisited“ schrieb, für 3,4 Mio. Euro verkauft – samt unliebsamer Mieter, die 280 Euro im Jahr zahlen und sich weigern auszuziehen.
In einem weiß-getünchten Cottage in Marlow westlich von London gehen Interessenten, geführt vom Maklerbüro Savills, ein und aus. 1817 war hier das Ehepaar Shelley eingezogen. Ein Jahr zuvor, während eines verregneten Sommers am Genfer See bei Lord Byron, war Mary Shelley die Idee zu einem der ersten Science-Fiction-Werke gekommen. Zu Ende schrieb sie „Frankenstein“ in Marlow.
Geisterstunde
In Bignell Wood hängt ein Bild des Autors mit seiner Tochter. Im Garten steht ein steinerner Adler, den er einst erworben hatte, und dann gibt es eine Anekdote: Elisabeth, Tochter der früheren Besitzer, war 19 Jahre alt, als sie eines Nachts von Geräuschen auf dem Dachboden wach wurde. Auf einmal war es kalt im Raum, und sie nahm eine Figur wahr: einen großen Mann mit Bart, der fragte, ob sie das Tagebuch gefunden hatte. Elisabeth hatte weder gewusst, dass Doyle groß war, einen Bart hatte oder dass es ein Tagebuch gab. Am nächsten Tag nahm die Familie alle Bretter am Dachboden heraus, um ein solches zu finden. Ergebnislos.
Jahre später rief Janes Tochter in der Nacht an. „Mama“, flüsterte sie. „Bist du am Dachboden?“ Natürlich nicht, erwiderte sie, sie sei im Bett. „Wie seltsam“, erwiderte die Tochter, zu dem Zeitpunkt 19 Jahre alt. „Es hört sich an, als würde jemand auf dem Dachboden herumgehen.“ Gruselig sei das schon. Jane McIntyre lacht. „Es war nur einmal. Ich bin oft allein und habe mich nie gefürchtet. Schade, fast.“