Leben/Gesellschaft

Aufsichtspflicht: Wenn Blödsinn strafbar wird

Ein zweijähriges Kind stürzt aus dem Fenster. Ein fünfjähriges Kind muss nach einem Schwimmunfall wiederbelebt werden. Meldungen, die Eltern erschüttern. Dramatischer klingt es im Ohr der Eltern, wenn dann noch zu lesen ist: „Es wird geprüft, ob eine Verletzung der Aufsichtspflicht vorliegt“.

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Und manche beschleicht ein mulmiges Gefühl: Manche ich mich vielleicht auch strafbar? Die Aufsichtspflicht in Österreich hat zwei Aspekte, erklärt Anwalt und Familienrechtsexperte Marco Nademleinsky im Gespräch mit dem KURIER:

„Es geht einerseits darum, dass dem Kind nichts zustößt, andererseits darum, dass es niemand anderem Schaden zufügt.“

Anwalt Marco Nademleinsky
Über die Aufsichtspflicht

Was dürfen Kinder alleine tun?

Gerade in den Ferien, wenn Kinder frei haben und Eltern arbeiten, stellt sich die Frage, was Kinder alleine tun dürfen. Was sagt das Gesetz über die Pflichten von Eltern, Herr Anwalt? „Wenig, das ist nicht näher definiert. So wie das Gesetz dem Arzt nicht genau sagt, wie er operieren soll“, erklärt er.

Grundregel, an die sich Eltern bei der Aufsichtspflicht halten sollen

Er hat aber eine klare Grundregel für Eltern: „In einer heiklen Situation ist es wichtig, dass Sie nicht ohne nachzudenken gehandelt haben, sondern erklären können, warum Sie Ihrem Kind etwas zugetraut oder erlaubt haben. Das hat mit dem einzelnen Kind zu tun.“

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So wie die ärztliche Sorgfaltspflicht für Ärzte gilt, gelten pädagogische Maßstäbe für Aufsichtspflichtige. „Aber es macht einen Unterschied, ob es um eine alleinerziehende Mutter mit fünf Kindern geht oder um Eltern einen Einzelkindes.“ Am Land gebe es ein anderes Verständnis von Freizeitverhalten als in der Stadt, „etwa bei Schnitzen oder Fahrradfahren“.

Wenn einem Kind etwas zustößt, wird das Jugendamt informiert, bestätigt dessen Sprecherin Andrea Friehmel: „Es wird nachgesehen, in welcher Situation das Kind lebt und ob die Eltern Unterstützung benötigen.“

Wie lange kann man Kinder alleine lassen?

„Wenn man kurz weggeht und das Kind spielt etwas Gefahrloses, ist das in Ordnung. Wenn man länger wegbleibt und das Kind weiß es nicht, kann das ein Problem sein.“ Grundsätzlich gilt: „Volksschulkinder müssen nicht mehr auf Schritt und Tritt beaufsichtigt werden. Es wird angenommen, dass sie den Schulweg alleine meistern. können.“

Beim Ausgehen am Abend sind die Jugendschutzgesetze ein Anhaltspunkt, "aber nur weil ein Kind länger weg ist, hat man nicht automatisch seine Aufsichtspflicht verletzt", sagt Nademleinsky.

Eindeutige gesetzliche Altersangaben, wann Eltern ihren Kindern etwas erlauben dürfen, gibt es nicht und es kommt sehr auf die Situation an. Auf KURIER-Frage gaben Eltern an, in welchem Alter sie ihren Kindern Freiheiten geben (Achtung: Das ist nur eine Tendenz, keine Statistik).

  • Alleine Zuhause bleiben: Mit 6-8 Jahren lassen manche Eltern ihre Kinder kurz zu Hause – etwa  zum einkaufen –, viele erst später. Das ändert sich bei mehreren Kindern im Haushalt: Die dürfen schon früher mit daheim bleiben. Abends waren Kinder vor 12 Jahren kaum alleine.
  • Alleine öffentlich fahren: Vor allem in der Stadt sind Eltern vorsichtig und lassen ihre Kinder vereinzelt mit 6-7 Jahren fahren, deutlich mehr mit 8-9 Jahren, aber manche noch später.
  • Abends ausgehen: Kaum vor 14 Jahren waren die Kinder bis 22  Uhr aus, wenn dann auf dem Heimweg vom Kino oder einem Freund, aber nicht in Lokalen.
  • Ohne Erwachsene verreisen: Mit Freunden wegfahren dürfen viele Jugendliche etwa ab 17 Jahren.

Wer wirft den Eltern mangelnde Aufsicht vor?

„Es gab einen Fall in Graz, wo Volksschulkinder 52 Autos zerkratzt haben, es entstand ein Schaden von 30.000 Euro“, erzählt der Anwalt. „Beim ersten Mal verletzen Eltern nicht die Aufsichtspflicht, aber irgendwann dürften sie ihr Kind nicht mehr unbeaufsichtigt lassen, wenn so etwas öfter passiert.“

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Die Frage ist, wer den Eltern die mangelnde Aufsicht vorwirft. Nademleinsky nennt dabei solche geschädigten Eigentümer als Beispiel, aber auch den anderen Elternteil: „Ich kenne Fälle von – getrennt lebenden – Eltern, die unterschiedlicher Meinung sind, was ihr Kind alleine darf.“

Wer für Schaden haftet

Wird ein Kind am Körper verletzt, kann es zu einer Anklage der Staatsanwaltschaft kommen. Auch Kinder selbst können zur Verantwortung gezogen oder über die Haushaltsversicherung der Eltern verpflichtet werden, einen Schaden zu bezahlen. „Bei einem straffälligen 14-Jährigen sind vielleicht die Eltern weniger einflussreich und die Strafjustiz übernimmt die Aufgabe“, so Nademleinsky.

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Je näher der 18. Geburtstag rückt, desto lockerer kann man die Zügel  lassen. Aber wenn das Kind öfter Blödsinn macht, etwa Wände beschmiert,  muss man aktiv werden.“ Naivität schützt Eltern nicht vor einer Strafe.

Die Aufsichtspflicht wird ein größeres Thema, weil Kinder öfter außerhalb der Familie betreut werden, bei Pädagogen werden andere Maßstäbe gesetzt. Nademleinskys Buch gilt dabei als Standardwerk. „Eltern können argumentieren, dass sie  eine Situation nicht vorausahnen konnten. Das kann ein Lehrer oder Hortpädagoge nicht.“

Psychologin Birgit Satke von "Rat auf Draht" verrät Eltern, was man tun sollte, wenn der Nachwuchs allein verreisen will:

Das Alter allein ist nicht entscheidend, vielmehr geht es um die Reife der Kinder. Eltern kennen ihre Kinder und wissen, wie viel an Eigenverantwortung sie ihrem Nachwuchs übertragen können. Ohne Eltern muss nicht gleich heißen, dass Ihr Kind ganz ohne Aufsicht verreist. Möglicherweise möchte es eine begleitete Reise machen, wie etwa:

  • eine Sprachreise
  • eine Sportreise  
  • einen Urlaub mit einer Jugendgruppe
  • eine Aktivfreizeit

Man sollte sich mit dem Kind Zeit für die Planung nehmen.

Das sind die "Rat-auf-Draht"-Tipps:

  1. Erster Urlaub in der Nähe organisieren: Die Distanz von Zuhause sollte nicht zu groß sein. Zum Beispiel mit dem Zug in ein benachbartes Bundesland. Die Vorteile: Die gleiche Sprache und bei Krankheiten, Notfällen oder Heimweh ist der Heimweg kurz.
  2. Rechtliche Situation klären: Eine gesetzliche Regelung, die vorgibt, ab wann man als Elternteil den Nachwuchs alleine verreisen lässt, gibt es in Österreich nicht. Die Entscheidung liegt bis zum 18. Geburtstag bei den Eltern. Das Jugendschutzgesetz gibt jeweils einen rechtlichen Rahmen vor. Eltern dürfen nichts über diesen gesetzlichen Rahmen hinaus erlauben, allerdings strengere Regeln festsetzen. Wichtig: Es gelten die Jugendschutzgesetze im jeweiligen Urlaubsland.
  3. Regeln zum Kontakt aufstellen: Eltern und Kind sollten eine Vereinbarungen bezüglich des Kontakthaltens treffen. Ob eine tägliche Nachricht oder wöchentlicher Anruf, das handelt die Familie gemeinsam aus. Am Handy sollte unter ICE (In Case of Emergency) die Handynummer eines Elternteils mit der österreichischen Ländervorwahl eingespeichert sein.
  4. Für Notfälle planen: Eltern sollten mit ihrem Kind mögliche Notfälle und Reaktionen darauf im Voraus besprechen. Probleme können auf Reisen auftauchen: Der Pass, das Geld oder das Handy könnten gestohlen werden, der Flug könnte gestrichen werden, oder das Kind könnte erkranken.

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Was Kinder auf Reisen dabei haben sollten

  • E-Card: Für den Krankheitsfall sollten Kinder immer die E-Card dabei haben. Außerhalb der EU ist es vorteilhaft, eine Reisekrankenversicherung abzuschließen. Medizinische Daten wie Allergien, die Blutgruppe, oder der Hinweis, dass Ihr Kind Diabetiker ist oder zu Epilepsie neigt, sollten auf einem Zettel vermerkt werden.
  • Kopie des Eltern-Reisepasses: Damit das Kind zusätzlich abgesichert ist, sollte es eine Kopie eines Ausweises eines Elternteils (Reisepass, Personalausweis, etc.) mit einer Unterschrift mitgeben.
  • Ausreichend Geld: Eventuell auch zusätzliches Geld für mögliche Notfälle.

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Bei Konflikten: Rat auf Draht ist auch in den Sommermonaten unter der Nummer 147 rund um die Uhr aus ganz Österreich oder schriftlich via Online und Chat Beratung erreichbar.