Kultur/Wiener Festwochen

"Julia": Starker sozialer Sündenfall

Eigentlich sind die Fronten klar. Hier Julia, das höhere Töchterlein aus gutem Haus. Auf der anderen Seite Jelson, ein farbiger Domestik. Doch eines Nachts haben sie Sex, und die Machtverhältnisse kippen. Jelson ist obenauf, und Julia steuert ihrem letalen Ende entgegen.

Macht der Bilder

August Strindbergs Drama „Fräulein Julie“ diente der brasilianischen Autorin und Regisseurin Christiane Jatahy als Vorlage für ihr Stück „Julia“, das bei den Wiener Festwochen im brut/Künstlerhaus Station macht. Und Jatahy gelingt eine sehr heutige, moderne, straffe, sozialkritische Deutung des Stoffes, die nur ein Problem hat: Die Macht der Bilder.

Die Regisseurin setzt auf vorproduziertes Filmmaterial ebenso wie auf Live-Kameras (David Pacheco), sie überhöht Gefühlslagen und Personen; hinter zwei verschiebbaren Wänden (Bühne: Marcelo Lipiani) spielt sich ein Großteil des Geschehens ab. Auch die explizite, schön gefilmte Sex- und Liebesszene.

Diese „Julia“ mit ihrer für Brasilien – in portugiesischer Sprache mit deutschen Übertiteln – extrem relevanten Gesellschaftskritik geht buchstäblich ins Auge; Close-ups verdichten die emotionalen Zustände der Protagonisten. Doch das Filmset hat einen Nachteil: Vor der großen Leinwand erscheinen die realen Darsteller ziemlich klein. Hier siegt das Filmische über die Live-Performance.

Szenenfotos des Stückes

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Schöne Selbstironie

Das aber liegt keineswegs an den famosen Schauspielern. Als Julia brilliert Julia Bernat in ihrer Ambivalenz zwischen Backfisch-Begierden und kindlicher Hilflosigkeit. Schön, wenn sie hysterisch aus dem Theater auf den Musikvereinsplatz stürzt und nur aufgrund der Kälte (!) zurückkehrt. Oder wenn sie auf Facebook ihre Eindrücke über den „ersten Tag bei den Festwochen“ postet. An Bernats Seite überzeugt Rodrigo dos Santos als viril-gefährlicher Jelson. Viel Applaus.

Klassiker, neu gedacht

Stück: Basierend auf „Fräulein Julie“ hat Jatahy ein Stück über Sex, Macht und Sozialkritik geschrieben.

Umsetzung: Die Kamera siegt trotz famoser Darsteller teilweise über den Menschen. Dennoch aufregend.

KURIER-Wertung: **** von *****