Wie Krimiautor James Ellroy der ermordeten Mutter nahe kam
Von Peter Pisa
Er läuft zurück, seit Jahrzehnten läuft er zurück ins Damals, um noch Kraft fürs Heute zu haben.
Anders formuliert:
James Ellroy war zehn, als seine Mutter, die 43-jährige Krankenschwester Jean Ellroy in einem Vorort von L.A. vergewaltigt und erdrosselt wurde. Täter konnte keiner gefunden werden.
„Dein Tod bestimmt mein Leben. Ich will die Liebe finden, die wir nie erlebten ... Ich will die Kluft zwischen uns niederbrennen. Ich will dir Luft zum Atmen geben.“
70 ist Ellroy kürzlich geworden. Nicht nur in den 1980ern hat er die dreckigsten, besten amerikanischen Krimis geschrieben.
Zum „Höllenhund“ des Genres wurde er ernannt.
Der Ullstein Verlag hat damit begonnen, seine Bücher neu herauszubringen, „Die schwarze Dahlie“, „Blutschatten“, „White Jazz“ ... in schöner Aufmachung, und unter ihnen ist „Die Rothaarige“ aus dem Jahr 1996:
Wie Ellroy seiner Erlösung nahe kam ...
„Die Rothaarige“ ist ein außergewöhnlicher Krimi. Er bricht Erstarrtes auf, man wird vielleicht selbst erstarren. Denn man wird mehr involviert als in typischen Mordg’schichten.
Lügner
Und das, obwohl der Roman bloß mit genauem Aktenstudium beginnt. Zeugenaussagen werden protokolliert.
Jean Ellroy war tanzen, sie saß mit einem dünnen Dunkelhäutigen in einem Drive-in und war aufgekratzt, er gelangweilt usw.
Danach erfolgen schnörkellose Betrachtungen über 1958, als James Ellroy unter der Woche bei Mutter wohnte und am Wochenende bei Vater. Die Eltern waren geschieden. Bei seinem Vater war er lieber. Aber Vater war ein Lügner.
James Ellroy wird ihn demaskieren. Er hatte manipuliert, sodass der Bub die Mutter als Alkoholikerin und Flittchen wahrnahm.
Aber „die Rothaarige“ war eine fabelhafte Mutter. Nur an Tagen, an denen sie nicht für James da sein musste, gönnte sie sich etwas Abwechslung.
Sie wollte MEHR.
Diese späte Erkenntnis gefiel ihrem erwachsenen Sohn. Auch er wollte stets MEHR.
1994, da war er schon ein bekannter Autor, engagiert er einen pensionierten Polizisten. Mehr als ein Jahr ermittelten sie gemeinsam.
Man glaubt ja ja nicht, wie viele Leute die Information gaben, ihr eigener Vater könnte Jean Ellroys Mörder gewesen sein ...
Es gab Wichtigeres, als den Täter zu finden.
Nun lernte er – als 46-Jähriger – die wirkliche Jean Ellroy kennen. Kennen und lieben. Er kann sie zwar nicht mehr sehen, nicht mehr riechen – aber: „Ich werde sie nie wieder im Stich lassen.“
James Ellroy:
„Die Rothaarige“
Übersetzt von
Tina Hohl und Heinrich Anders.
Ullstein Verlag.
528 Seiten.
25,70 Euro.
KURIER-Wertung: ****