Kultur

Sprechlust gegen Beziehungsfrust

Manchmal“, sagt Richard Linklater, „wache ich in der Früh auf und denke an Wien. Und dann denke ich daran, was das für ein besonderer Moment war, damals 1994.“

Nein, das sei kein Spaß, fügt Linklater im KURIER-Interview hinzu, das meine er ganz im Ernst. Denn 1994 war das Jahr, in dem der US-Regisseur in Wien einen kleinen feinen Film drehte, der eine große Karriere machen sollte: „Before Sunrise“. Darin spielen Ethan Hawke und Julie Delpy zwei Touristen – Jesse und Celine – die einander zufällig in Wien begegnen, eine Nacht miteinander verbringen und sich am Morgen wieder trennen.

Knapp zehn Jahre später ließ Linklater die beiden wieder aufeinandertreffen, diesmal in Paris – „Before Sunset“.

Seitdem sind wieder fast zehn Jahre vergangen. In dem neuen, famosen Beziehungsfilm „Before Midnight“ (derzeit im Kino) sind Jesse und Celine längst ein Paar, haben Kinder und verbringen ihren Urlaub in Griechenland. Wie immer in Filmen von Linklater sind beide von enormer Sprechlust angetrieben. In typischer Linklater-Manier palavern sich beide ohne Punkt und Pause durch unglaublich lange, oft nur in einer Einstellung gedrehte Szenen. Mal scherzend, mal ernsthaft, diskutieren sich die beiden durch ihre Ehe, ihre Karrieren, den Alltag mit Kindern – bis sie am Beziehungsabgrund zu stehen kommen. Doch immer hat man das herrliche Gefühl, dass alles leichtfüßig und improvisiert geschieht.

„Ganz im Gegenteil“, stöhnt die Französin Julie Delpy: „Diese langen Redeszenen sind der wahre Albtraum. Man ahnt gar nicht, wie viel intensive Arbeit darin steckt, einen nonchalanten Eindruck zu vermitteln. Da kann man als Schauspielerin nur eines machen: Üben, üben und nochmals üben.“

Spontan

So spontan sich das eheliche Geplauder bis hin zum erbitterten Zweikampf auch anfühlen mag: „Es wurde alles bis ins kleinste Detail geprobt“, bestätigt auch Linklater: „Es fällt in keinen meiner Filme auch nur ein Satz, der nicht im Drehbuch stand.“

Apropos Drehbuch: der Regisseur schrieb es gemeinsam mit seinen beiden Schauspielern, um so möglichst große Realitätsnähe zu erzielen. Am meisten hätte sie während des Schreibprozesses die schwierige Balance zwischen Mutterschaft und Arbeit beschäftigt, erzählt Delpy: „Meine Mutter ist Feministin und hat ihr Leben lang trotz Familie gearbeitet“, erinnert sich die Schauspielerin: „Aber bis heute ist es immer noch ein Kampf für Frauen, Kinder zu haben und sich selbst professionell zu verwirklichen. Ich hätte nie gedacht, mit wie viel Schuldgefühlen man als arbeitende Mutter zu kämpfen hat – bis ich es selbst erlebte.“

Konflikte wie diese fließen in das Beziehungs-Match zwischen Jesse und Celine ein und machen die anfänglich liebevollen Dialoge zunehmend schärfer: „Ich habe vier Kinder aus zwei Ehen und ich weiß, wie real diese Problematik ist“, kann auch Ethan Hawke aus dem eigenen Leben berichten: „Mir stellt sich immer die Frage: Wie kann man in einem komplizierten Leben, wie wir es führen, die Romantik aufrechterhalten? Was kann man tun, damit nicht alles den Bach heruntergeht, während man streitet, wie der Kinderarzt heißt und wer die Babysitterin engagiert?“

Liebe trotz Beziehung

Gute Frage. Eine Antwort, oder zumindest den Versuch davon, unternimmt „Before Midnight“: „Unser Traum war es, über diese Situation einen Film machen“, sagt Hawke. „Einen Film, der das Thema weder verblödelt, noch ignoriert, sondern es ernst nimmt. Der ohne zu lügen über ein Paar Anfang 40 erzählt, das in einer Beziehung mit all ihren Schwierigkeiten steckt und trotzdem an die Liebe glaubt.“

Ob sie sich denn in den nächsten Jahrzehnten weitere Filme über ihr fiktives Beziehungsleben als Jesse und Celine vorstellen könnten?

„Na ja, so alt wie in Michael Hanekes Sterbedrama ,Liebe“ muss ich nicht werden“, murmelt Julie Delpy.

„Warum nicht?“, fragt Ethan Hawke munter: „Toll wäre es schon, eine Liebesgeschichte über Dekaden hinweg zu erzählen. Der letzte Teil wäre dann wie in ,Liebe‘. Es sei denn“ – Hawke wirft einen schelmischen Blick auf Delpy – „es sei denn, ich such’ mir jemand neuen.“

„Daran hab’ ich für mich auch schon gedacht“, schlägt Delpy zurück: „Einen Neuen, der stark behaart ist.“

Trailer: "Before Midnight"