Kultur/Eurovision Song Contest

Tex Rubinowitz über seinen Song-Contest-Favoriten

Als am 6. April 1974 ABBA mit "Waterloo" den Eurovision Song Contest gewann, war das, auch wenn man es mit zeitlichem Abstand kaum glauben mag, kein so sicherer Sieg und eine Zäsur.

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In einem Umfeld, in dem bisher Pathos, Schmalz und Bombast regierte, siegte das fröhliche Kapitulationslied ("Waterloo, I was defeated, you won the war") nur äußerst knapp gegen den italienischen Beitrag "Sí" ("Ja") von Gigliola Cinquetti. Wovon in Italien niemand etwas mitbekommen hat, weil die Veranstaltung vom italienischen Fernsehen mit mehr als fünfwöchiger Verzögerung gesendet wurde, da in Italien für den 12. Mai 1974 ein Referendum über die Zulassung der Ehescheidung anberaumt war und die Verantwortlichen der RAI eine Beeinflussung des Abstimmungsverhaltens durch den Song verhindern wollten. Lieder über verlorene Kriegsschlachten sind inzwischen tabu, dafür ist es auch in Italien erlaubt, sich scheiden zu lassen.

Die ödesten Phasen des Song Contests waren immer jene, in denen das siegreiche Vorjahresmodell kopiert wurde, immer die gleichen Flöten, Geigen, Ethnoirrtümer, man will nichts riskieren, geht "auf Nummer sicher", heraus kommt aber in der Regel nur Mittelmaß.

Alle Kandidaten und Infos zum Song Contest finden Sie hier.

Bleierne Zeit

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Das war die bleierne Zeit nach Johnny Logan (1980), der dem Song Contest einen schlechten Namen gegeben hat, Jahr um Jahr wurde kompromisslerisch charakterlich Schales abgeliefert.

Und dann brauchte es wieder eine Zäsur, und das war 2006 Lordi aus Finnland mit "Hard Rock Halleluja", so als müsse man alles mit Krach und Kunstblut wegschwemmen, was sich inzwischen so an klebrigem Ballast angesammelt hat.

Bertls Namenstag

In gewisser Weise war auch der Beitrag von Conchita Wurst so eine Zäsur, weil über das mediokre Lied noch etwas viel Wichtigeres transportiert wurde, ein Plädoyer für offene Gesellschaften.

Nun tritt für Finnland eine Band an, die noch viel weiter geht, es ist Pertti Kurikan Nimipäivät, was so viel heißt wie Bertl Kurikans Namenstage (Bandchef Pertti Kurikan schrieb sein erstes Lied an seinem Namenstag, Pertti ist unser Bertl oder Berti). Drei der vier Bandmitglieder haben das Downsyndrom, einer ist Autist.

Geistig behindert

"Die Mitglieder unserer Band sind vier Männer mittleren Alters, die alle geistig behindert sind", sagt Sami, der Bassist, selbstbewusst. PKNs Musik ist ein altbackener Punkrock, aber das ist egal, um relevante Musik geht es ja bei dem Wettbewerb schon lange nicht mehr.

Das Erfrischende dabei ist, dass sie kein Interesse haben, irgendwelche Kompromisse einzugehen, und dass man ihnen gerne dabei zuschaut. In einer rings um einen zusammenbrechenden Welt ist eine gesellschaftliche Randgruppe angetreten, um uns zu trösten. Man muss schon sehr gestrig und dogmatisch sein, wenn man nicht zumindest in Erwägung zieht, dass Berti und seine Namenstage Sieger des Song Contests 2015 werden könnten.

Info: Seit Freitag ist die Band The Makemakes als österreichischer Beitrag fixiert - mehr dazu hier.