Song Contest: Politik, Propaganda & Protest
Laut Reglement eigentlich verboten, und doch seit Jahrzehnten präsent: Der Eurovision Song Contest mag zwar als Unterhaltungsevent gelten, ist aber natürlich alles andere als unpolitisch. Ein Blick zurück offenbart siegreiche Anti-Kriegslieder, Boykotte von Veranstalterländern oder humoristische Kritikversuche. Bei der Jubiläumsausgabe in Wien steht diesbezüglich der armenische Beitrag im Fokus.
Ein bisschen Frieden und keine Mauern; Politik beim ESC
Keine Politik während des ESC
Ob sich der Text aber nun darauf bezieht oder nicht - eine dezidiert politische Botschaft ist beim ESC nicht zugelassen. Den offiziellen Regularien zufolge sind "keine Texte, Ansprachen, Gesten von politischer oder ähnlicher Natur während des Eurovision Song Contest" erlaubt. Weiters heißt es: "Keine Botschaften, die Organisationen, Institutionen, politische Anliegen oder anderes, Unternehmen, Marken, Produkte bewerben, sind während der Shows oder innerhalb anderer, offizieller Eurovision Song Contest Räumlichkeiten erlaubt. Ein Brechen dieser Regel kann eine Disqualifikation zur Folge haben."
Propagandistisches Zeichen
Dabei war schon die Gründung des Eurovision Song Contest durchaus auch als propagandistisches Zeichen in Zeiten des aufblühenden Kalten Krieges gedacht, mit dem die Freiheit und Farbigkeit westlicher Weltkultur ins Schaufenster gehoben wurde. Und dass der Song Contest eine politische Plattform bieten kann, hat sich etwa 1969 in Madrid gezeigt: Die 14. Ausgabe des Wettbewerbs, bei der es mit Spanien, Großbritannien, den Niederlanden und Frankreich gleich vier Erstplatzierte gegeben hat, wurde von Österreich aus Protest gegen die Franco-Diktatur boykottiert. Dass im Jahr zuvor die Spanierin Massiel Cliff Richards mit seinem Klassiker "Congratulations" ausstach, war gerüchtehalber nicht zuletzt auf üppige Franco-Zahlungen zurückzuführen.
Fünf Jahre später, 1974, wurde in Portugal das Abspielen von Paulo de Carvalhos wenige Tage zuvor performtem ESC-Beitrag "E Depois do Adeus" im Radio zum Geheimsignal für die Aufständischen gegen die Militärdiktatur, während die griechische Sängerin Mariza Koch 1976 mit ihrem gegen die türkische Invasion auf Zypern gerichtetem "Panaghia mou, panaghia mou" der Textkontrolle durchschlüpfte. Nach dem Fall der Mauer in den frühen 1990ern priesen viele Beiträge die Einheit Europas - wie etwa der Siegersong 1990 von Toto Cutugnio, "Insieme 1992".
Positive Sicht
Eine positive politische Konnotation war auch nach dem Zerfall Jugoslawiens zu erkennen, wie Karen Fricker von der kanadischen Brock University in der aktuellen Ausgabe der ORF-Public-Value-Schriftenreihe darlegt. "Die daraus neu entstandenen Länder sind in den frühen 1990er-Jahren rasch der EBU (European Broadcasting Union, Anm.) beigetreten und dem ESC. In den 2000er-Jahren wurden sie einige der enthusiastischsten und erfolgreichsten Teilnehmer des Wettbewerbs, wie auch Marija Serifovics Sieg für Serbien im Jahr 2007 unterstrich." Die ESC-Teilnahme quasi als Möglichkeit zur Imagepflege, ähnlich wie es auch dem wirtschaftlich angeschlagenen Irland mit seinen Triumphen in den 1980er- und 1990er-Jahren gelungen ist.
Humor als Werkzeug
Mit einem ähnlich gelagerten, weil lautmalerisch Kritik ausdrückenden Beitrag hat die ukrainische Sängerin Verka Serduchka, verkörpert vom Komiker Andrei Danilko, wiederum 2007 den zweiten Platz erobert. Der Song "Dancing Lasha Tumbai" wartete mit der sinnfreien Textstelle Lasha Tumbai auf, was von etlichen Zuschauern als "Russia Goodbye" verstanden wurde. Der Travestiestar hat eine solche Auslegung allerdings stets in Abrede gestellt. Bei den jüngsten ESC-Ausgaben ist Russlands Imageproblem aber auch im Publikum zum Vorschein getreten: Schon vor der umstrittenen Ukraine-Politik wurde das Land von vielen ESC-Enthusiasten wegen seiner homophoben Gesetzgebung argwöhnisch beäugt, was letztlich bei den Auftritten von russischen Teilnehmern in Pfeifkonzerten aus dem Publikum mündete.