Seidl: Religion und Sex gehören zusammen
In einem Interview in der Montag erscheinenden Ausgabe des Nachrichtenmagazins profil meint Regisseur Ulrich Seidl, dass die Stimme der katholischen Kirche "sehr schwach geworden" sei - zu schwach sogar zur Empörung. "Die Skandale entstehen ja nicht mehr in der Kunst, sondern im Inneren der Kirche selbst. Unfassbar, was in den letzten paar Jahren an sexuellen Vorgängen innerhalb der Kirche aufgedeckt wurde."
Der zweite Teil der "Paradies"-Trilogie Seidls wird am 31. August im Wettbewerb der Filmfestspiele in Venedig ihre Weltpremiere erleben: "Paradies: Glaube" könnte als Ehedrama und Religionskriegsfilm - ein gelähmter Muslim tritt gegen seine verhärtete katholische Ehefrau an - die kontroversiellste Arbeit der Serie sein.
"Muslimische Männer tragen den Konflikt in sich"
"Viele arabische Männer betrachten die Frauen im Westen einerseits als verlockend, andererseits als sündig", meint Seidl. "Das ist ein Konflikt, den muslimische Männer in sich tragen." Wie Vertreter des Islam auf Seidls Männerfigur reagieren werden, "interessiert mich nicht. Denn der offizielle Muslim, der nur friedfertig handelt, brav betet, nie trinkt und Distanz zu westlichen Frauen hält, ist nicht die Wahrheit - ebenso wenig wie der stets wohlmeinende Christ."
Religion und Sex, sagt Seidl, "haben viel miteinander zu tun. Nicht umsonst haben stets vor allem gläubige Menschen Selbstzüchtigungen betrieben. Da wurde unter dem Deckmantel der Religion eine Art Masochismus entwickelt. Die Körperfeindlichkeit, die von der katholischen Kirche vorgegeben wird, erzeugt oft das Gegenteil: eine geheime Lust." Mit seiner eigenen katholischen Vorbelastung hadere er heute nicht mehr, "aber wenn man so streng erzogen wird, kämpft man vor allem mit dem schlechten Gewissen. Das kriegt man ein Leben lang nicht mehr los. Die Gottesfurcht holt einen immer wieder ein."