Kultur

Räudig, ruppig, zu lang – und großartig

Diese Aufführung ist das Gegenteil eines "well made play": Sie wirkt räudig und ruppig, über weite Strecken improvisiert; gleich zu Beginn fällt das Licht aus und es muss unterbrochen werden; Gitarre und Bass sind irgendwann heftig verstimmt; die Schauspieler müssen sich mit den Zwischenrufen einer lustig sein wollenden Zuschauerin herumschlagen; und ja – der Abend ist mit knapp dreieinhalb Stunden (inklusive Pause) deutlich zu lang.

Und dennoch – oder gerade deshalb – hat diese Aufführung Druck und Charme, sie entwickelt Sog und Verführungskraft, man sieht ihr gerne zu.

Ali M. Abdullah, gemeinsam mit Harald Posch künstlerischer Leiter des Werk X, hat wieder einmal einen Roman auf die Bühne geworfen: "Seelenkalt" von Sergej Monajew gilt als Schlüsselroman über die "Generation Putin". Also über jene Generation, die noch in der Sowjetunion aufgewachsen ist und jetzt versucht, um turbokapitalistischen, hedonistischen, nicht ganz so demokratischen Russland von heute das zu haben, was man "Erfolg" nennt. Im Mittelpunkt steht ein Moskauer Geschäftsmann (großartig gespielt von Tim Breyvogel), der seinen Selbstekel mit Drogen, Alkohol und wahllosem Sex betäuben will. Doch sein Leben steht immer an der Kippe, Bestechungsversuche, korrupte Polizisten, ein grausam scheiterndes Investment und vor allem die Begegnung mit einer Frau, die er wirklich lieben könnte, erschüttern seine Existenz.

Regisseur Abdullah hat das Stück mit seinen Schauspielern offenbar in Improvisationen entwickelt, das macht den Abend so schroff und gleichzeitig so spannend. Großartig ist die musikalische Leistung des Ensembles – immer wieder kommentiert es die Handlung mit live gespielten Punk- oder Bluesstücken und herrlichen russisch gesungenen Coverversionen ( Radioheads "Creep" oder "The Winner Takes It All" von ABBA). Die gesamte Truppe – Constanze Passin, Dennis Cubic, Christian Dolezal (hinreißend an der Gitarre!), Daniel Wagner und Imre Lichtenberger Bozoki – spielt großartig.

Umso trauriger – man muss es sagen – ist die Tatsache, dass die neue Spielstätte in Meidling offenbar bisher nicht vom Publikum angenommen wurde. Am Samstag ( der KURIER sah die dritte Vorstellung) war gerade ein Zehntel der 220 Plätze besetzt.

KURIER-Wertung: