Vom fürchterlichen Hass gebildeter Menschen
Von Peter Pisa
Es schaut vielleicht seltsam aus, wenn an dieser Stelle (wenn es nämlich um den Argentinier Ricardo Piglia geht) erwähnt wird:
Zurzeit ist kein einziges Buch des argentinischen Nationaldichters William Henry Hudson (1841–1922) in deutscher Übersetzung lieferbar.
Ein Beobachter der Pflanzen und Vögel war er, der Gauchos und der Pampa. Sein weltweit berühmter Zeitgenosse Joseph Conrad sagte über ihn: "Hudson schreibt seine Worte nieder, wie der liebe Gott das Gras wachsen lässt."
Aber das will offensichtlich heute niemand hören / lesen – und damit sind wir schon mitten in Piglias Roman "Munk".
Nur eine Ratte
Denn der Ich-Erzähler ist ein trauriger Literaturprofessor aus Buenos Aires, Spezialist für eben diesen Hudson. Er folgt dem Ruf einer Universität in New Jersey, und wenn dann dort über Hudsons Beschreibung des Ctenomys magellanicus und dessen Tucu-tucu-Laute diskutiert wird, ist das irgendwie beruhigend (obwohl es sich bei diesem Tier bloß um eine Ratte handelt) ...
Auch Tolstoi ist im universitären Elfenbeinturm ein Thema sowie die Wahl des Sexualpartners in Platons "Staat".
Sehr fein liest sich das, auch wenn man es jetzt möglicherweise nicht recht glauben will.
Und dann kippt der Roman. Er bleibt klug. Aber der Hochschule als friedlicher, vornehmer Ort wird die Oberfläche weggesprengt – verborgene Wut brodelt. Neid, Gier, Egomanie. Doppelleben werden sichtbar (die angeblich zur Kultur der USA gehören).
Denn eine Professorin ist mittels Briefbombe ermordet worden, und in mehreren amerikanischen Universitäten geschah Ähnliches.
Der Täter: kein Außenseiter, kein Wrack, sondern ein elitärer Terrorist – ein erfolgreicher, ausgezeichneter Mathematiker ... wie der "Unabomber" Theodore Kaczynski.
Schwieriges Urteil
Im Roman heißt er halt Munk (und wird hingerichtet), aber auch dieser Munk hatte sich in eine Hütte in den Bergen zurückgezogen. Auch er tötete, um sich Gehör zu verschaffen: das technokratische, kapitalistische System müsse vernichtet werden.
"Munk" ist vom Campus-Roman zum Psychogramm geworden. Zwei Mal überzeugt der Autor. Er urteilt nicht. Er zeigt "nur", wie komplex so ein Mensch ist ... und man es sich deshalb auch beim Urteilen nicht einfach machen kann.
Munk. Argentinischer Roman findet unter der Oberfläche einer New Yorker Universität den "Unabomber"
KURIER-Wertung:
INFO: Ricardo Piglia: „Munk“ Übersetzt von Carsten Regling. Wagenbach Verlag. 256 Seiten. 23,60 Euro.