„Mailänder Scala ist eine Art von ständigem Festspiel“
Am Tag seiner Bestellung zum Intendanten der Mailänder Scala ab 2015 war Alexander Pereira in München – bei der Verleihung des Siemens-Musikpreises an Mariss Jansons. Mittwochvormittag flog er nach Mailand, um fortan „wie ein Schwamm“ alle Details über die Arbeitsweise am berühmtesten Opernhaus der Welt aufzusaugen.
Im KURIER-Interview spricht der 65-jährige Wiener über seine Pläne für Mailand, wo er auf den Franzosen Stéphane Lissner folgt, und die Zukunft bei den Salzburger Festspielen, wo er einen Vertrag bis Herbst 2016 hat.
KURIER: Sie sind der erste Österreicher, der die Mailänder Scala leiten wird, und wurden von einem italienischen Medium sogar als „Papst“ bezeichnet. Eine enorme Auszeichnung ...
Alexander Pereira: Ich bin nach Stéphane Lissner auch erst der zweite Nicht-Italiener in dieser Funktion an der Scala. Das ist eine phänomenale Aufgabe. Und ich habe das Gefühl, dass man in Mailand wieder ein großes Rad drehen will. Das macht einem Mut.
Zu einem großen Rad gehört auch eine ausreichende finanzielle Ausstattung. Wie wollen Sie das in Krisenzeiten schaffen? Wieder, wie in Zürich oder in Salzburg, mit Sponsoren?
An der Scala wird mir jedenfalls bestimmt keiner sagen, ich sammle zu viel Geld. Ich muss aber erst das System genau durchschauen. Das ist in Italien etwas schwieriger, weil es zu den öffentlichen Subventionen die Fondaziones gibt, Stiftungen, über die Geld in öffentliche Aufgaben fließt.
Ich bin angesprochen worden, ob ich mir das vorstellen könnte. Und als es dann zum Auswahlverfahren kam, hatte ich schon mein Curriculum eingeschickt. Für mich ist die Mailänder Scala eine Art von ständigem Festspiel, mit jedem Monat einer Premiere. Da müssen die bedeutendsten Dirigenten, die bedeutendsten Sänger und auch die wichtigsten Regisseure zu erleben sein. Wir müssen das höchstmögliche Niveau erreichen.
Wie kann Ihnen das gelingen?
Ich kann heute leider nicht mehr Caruso, Corelli oder Gigli gleichzeitig auftreten lassen. Aber ich habe ein großes internationales Netzwerk. Und die Scala besitzt ein enormes Renommee. Die New Yorker MET oder die Wiener Staatsoper versuchen natürlich auch, das Beste zu verwirklichen. Aber mit der Unterstützung dieses einzigartigen Namens ist das an der Scala vielleicht leichter. Was den Spielplan betrifft, geht es natürlich in erster Linie um die Pflege des italienischen Repertoires, aber auch um nicht so oft gespielte Werke.
Zur Zeit ist Daniel Barenboim Musikdirektor an der Scala. Werden Sie auch jemanden in dieser Funktion ernennen?
Auf alle Fälle. Der Intendant und der Musikdirektor müssen über die künstlerischen Fragen entscheiden. Ich finde aber, wenn es einen nicht-italienischen Intendanten gibt, sollte es einen italienischen Musikdirektor geben. Da gibt es einige Kandidaten. Unabhängig davon würde ich mich wahnsinnig freuen, wenn es gelingt, dass Riccardo Muti wieder an der Scala dirigiert. Oder Claudio Abbado.
Werden Sie mit auch Cecilia Bartoli weiter zusammenarbeiten?
Das tue ich seit weit mehr als 20 Jahren. Und es wäre sehr schön, wenn sie an der Scala wieder in einer Opernproduktion singt.
Italienische Theater gelten szenisch als konservativ. Werden Sie auf neue Zugänge setzen?
In Italien kann man einerseits froh sein, dass man die Phase, wo im deutschen Regietheater auf die Bühne gesch ... wurde, ausgelassen hat. Andererseits kann man das eine oder andere sicher erneuern. Mir geht es immer nur um gute oder schlechte Inszenierungen. Und da ist etwa Damiano Michieletto, der in Salzburg „La Bohème“ inszenierte, ein leuchtender Stern.
Wann findet die erste von Ihnen verantwortete Scala-Premiere statt?
Am 7. Dezember 2015, dem Tag der Inaugurazione.
Wie geht sich das mit Ihrer Intendanz in Salzburg aus, wo Sie bis inklusive Sommer 2016 unter Vertrag sind?
Das geht sich problemlos aus. Die kommenden zwei Sommer sind in Salzburg völlig geplant. 2015 ist zu 85 bis 90 Prozent und 2016 zu 70 Prozent geplant.
Mitglieder des Festspiel-Kuratoriums haben aber schon angekündigt, eine Doppel-Intendanz keinesfalls zu akzeptieren.
Ich bin den Salzburgern im Wort, dass ich bis zuletzt alles verantworte. Und ich werde mich am kommenden Dienstag bei einer Kuratoriumssitzung um Ruhe und eine konstruktive Lösung bemühen. Die Suche nach einem Nachfolger wird ja sicher nicht leicht, weil sich der mindestens so wie ich nicht nur ums Ausgeben, sondern ums Hereinholen von Geld bemühen wird müssen. Ich habe mich da wirklich gequält. Und das wird sicher nicht leichter. Das Hauptproblem ist ja, dass Salzburg bei den Subventionen auf dem Stand von 1998 ist.
Werden Sie bezüglich Ihres Nachfolgers Empfehlungen abgeben?
Wenn das Kuratorium eine hören will, dann mache ich ihm gegenüber kein Geheimnis daraus.
Der Job in Salzburg muss ausgeschrieben werden. Plädieren Sie wieder, wie vor Ihrer Bestellung, für eine Findungskommission?
Unbedingt. Wie soll denn ein Politiker den internationalen Intendantenmarkt kennen? Ich kenne ja auch nicht den Markt an potenziellen Innenministern.
Salzburgs SP-Bürgermeister Heinz Schaden bleibt weiterhin ein harter Kritiker von Pereira. „Eine Übergangs-Intendanz für ein, zwei Jahre wäre kein Beinbruch, die Präsidentin und Schauspielchef Bechtolf könnten das schon machen“, sagt er. Und: „Bigamie kommt nicht in Frage“. Mit Bigamie meint er eine Doppel-Intendanz.
Noch-Landeshauptfrau Gabi Burgstaller: „ Ich könnte mir vorstellen, dass Pereira die kommenden zwei Festspielsommer, also 2013 und 2014 , abwickelt. Aber mehr auch nicht. Dafür könnte er höchstens die halbe Gage beziehen.“ Als künftigen Intendant hält sie Markus Hinterhäuser für eine Option: „Ich würde mich freuen, wenn er sich trotz seiner Verpflichtung bei den Wiener Festwochen bewerben würde.“
Ex-Staatsopernchef Ioan Holender sagt: „Ich finde es toll, dass Pereira nach allem, was er hinter sich hat, die Scala übernimmt. Er ist der richtige Mann am richtigen Platz. Und es ehrt die Vokalität und die Musik, dass er, ein Liebhaber von Stimmen, Oper und Sinnlichkeit, diesen Job bekommt. Für Salzburg wäre es schade, wenn die vielen guten Dinge, die er geplant hat, dort nicht mehr stattfinden.“ Holender sagt aber auch: „Es erhöht nicht den Ruf von Salzburg, dass jetzt schon der zweite Intendant nach Flimm vorzeitig einen neuen Job annimmt.“
Alexander Pereira war gerade mal einen Sommer Intendant der Salzburger Festspiele – und ist bereits mit einem Bein in Mailand. Eventuell bald mit beiden Beinen und seinem ganzen Kopf, denn es ist ausgeschlossen, dass das Salzburger Kuratorium zustimmt, dass er bis Herbst 2016 auch die Festspiele führt. Jene Herrschaften, die ihn bestellten, lieferten sich von Anbeginn an mit ihm ein öffentliches Gefecht. Das wäre anderswo unmöglich und ist deshalb ein Salzburger Spezifikum, weil dort amtierende Politiker im Aufsichtsrat sitzen.
Dabei musste man genau wissen, was man von Pereira bekommt: Ein enormes Staraufgebot, eine perfekt befeuerte Marketing-Maschinerie, ein Massenspektakel und einen auf Rekorde schielenden Vergnügungspark. Die Prognose fällt nicht schwer: An die Scala passt Pereira, der auch ein fleißiger Sammler von Sponsorgeldern ist, viel besser.
Er wird der erste Österreicher an der Spitze dieses Opernhauses sein. Das ist so, als würde ein Österreicher Trainer in Barcelona. Da fiele das Land in einen nationalistisch-sportlichen Bedeutungstaumel. In der Kunst, wo Österreich Weltrang hat, wird differenziert, Pereira auch kritisch betrachtet – das ist gut so.
Wie kann es nun in Salzburg weitergehen? Es ist sehr wahrscheinlich, dass Pereira bis nach dem Sommer 2014 im Amt bleibt. Das Jahr 2015 ist schwierig abzuschätzen. 2016 wird sicher von jemand anderem geleitet. Wahrscheinlich muss Schauspielchef Sven-Eric Bechtolf einspringen. Und vermutlich wird die Präsidentschaft von Helga Rabl-Stadler (die 2014 ausläuft) verlängert.
Aber wer soll die Festspiele nach der Interimslösung längerfristig leiten? Im Idealfall Markus Hinterhäuser. Er ist bis Ende Juni 2016 Chef der Wiener Festwochen, es ginge sich also zeitlich aus. Er ist ein Garant für faszinierende künstlerische Kombinationen und einen intellektuellen Anspruch in der Programmgestaltung. Diskutiert wird sicher auch über Bernd Loebe: Er ist bis 2015 Chef der Frankfurter Oper. Über Michael Haefliger (Luzern-Festival). Und über Peter de Caluwe: Der ist laut Vertrag bis 2019 in Brüssel.
Eröffnet wurde der Bau von Architekt Giuseppe Piermarini 1778 mit Salieris „L’Europa riconosciuta“. Die Errichtung war von Maria Theresia beauftragt worden. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Scala zerstört, nach Kriegsende wiederaufgebaut. Das sechsstöckige Logentheater fasst 2300 Sitzplätze.
UraufführungenU. a. Vincenzo Bellinis „Norma“ (1831), Verdis „Otello“ (1887) und „Falstaff“ (1893) sowie „Madama Butterfly“ (1904) und „Turandot“ (1926) von Puccini. Alle Größen traten dort auf.