Oswald Wiener ist tot: Autor und Mitbegründer der "Wiener Gruppe"
Von Michael Huber
Wer sich heute mit Künstlicher Intelligenz, mit virtueller Realität, mit der Verschmelzung von Mensch und Maschine auseinandersetzt, wird irgendwann feststellen müssen: Oswald Wiener war schon da. Und zwar lange, bevor die Techno-Visionäre, die sich heute an der Speerspitze der Entwicklungen wähnen, geboren waren.
Prophetisch mutet das Kapitel über den „bio-adapter“ an, das Wiener seinem 1969 erschienen, zwischen 1962 und 1967 in konsequenter Kleinschreibung verfassten Hauptwerk „die verbesserung von mitteleuropa. roman“ hintanstellte: Von einem „glücks-anzug“ war da die Rede, der „durch laufende anpassung auch den differenziertesten bedürfnissen höchstorganisierter lebewesen gewachsen“ sein und „philosophie durch technik“ ersetzen sollte. An Datenbrillen und dergleichen dachte damals niemand.
Von Olivetti zur Ferkelei
Der 1935 geborene Wiener war damals, Anfang der 1960er, Abteilungsleiter des Büromaschinenkonzerns Olivetti – ein kurzer Ausflug in eine bürgerliche Existenz.
Zuvor hatte Wiener ohne Abschluss eine Reihe von Fächern (Rechtswissenschaft, Musikwissenschaften, afrikanische Sprachen und Mathematik) studiert und sich als Jazzmusiker profiliert. Ab 1954 war er dann einer der zentralen Impulsgeber der sogenannten „Wiener Gruppe“: Zwischen 1955 und 1959 gab er – mit Konrad Bayer, Gerhard Rühm, Friedrich Achleitner und anderen – die Konzepte bei Aktionen und Publikationen der Vereinigung vor.
Die Gruppe gilt heute als wichtigste Bewegung der deutschsprachigen Nachkriegsavantgarde und eine der wichtigsten Avantgardebewegungen jener Zeit weltweit. Anknüpfend an die Sprachphilosophien Fritz Mauthners und Ludwig Wittgensteins versuchte man, die Grenzen der Sprache auf anarchische Art auszuloten; Wiener selbst stieß dabei aber an Grenzen, vernichtete fast seine ganzen „literarischen Versuche“ und versuchte mit der „verbesserung von mitteleuropa“ – in der Tat alles andere als ein Roman, eher ein schillerndes Werk der Sprachkunst – einen Neuanfang.
1968 war Wiener dann an der Aktion „Kunst und Revolution“, vulgo „Uni-Ferkelei“, beteiligt, die ihm eine Strafanzeige einbrachte. Vor ihr flüchtete er nach Berlin, wo er als Wirt Fuß fasste: Bis 1986 war er dort Besitzer mehrerer Lokale, wobei insbesondere das „Exil“ als legendäre Künstlerkneipe in die Geschichte einging. 1985 schloss er auch noch ein Studium der Mathematik und Informatik ab.
Inhalt für zehn Leben
Der Einfluss von Wieners Denken, Tun und Forschen quer durch die Disziplinen ist kaum zu unterschätzen. Das Prinzip, naturwissenschaftliche und kybernetische Ansätze auch in Literatur und Philosophie zu übertragen, prägte nicht nur sein Schaffen, für das er mit dem Großen österreichischen Staatspreis für Literatur 1989 ausgezeichnet wurde; es fand auch Widerhall in der bildenden Kunst – etwa bei Walter Pichler oder Maria Lassnig, mit der Wiener Mitte der 1950er kurz liiert und dann zeitlebens befreundet war.
Verheiratet war der Universalist seit Jahrzehnten mit der Künstlerin Ingrid Wiener. Einer früheren Ehe mit Lore Heuermann entstammen drei Kinder. Eines davon ist die TV-Köchin und Politikerin Sarah Wiener: Sie bestätigte die Meldung von Oswald Wieners Ableben.