Nur einer kann nicht fliegen
Von Peter Pisa
Dante war kein finsterer Geselle. Er trug bunte Hosen, und sein Gedächtnis war phänomenal.
Deshalb diese Anekdote:
Dante sitzt vor dem Dom in Florenz, ein Mann kommt und fragt: "Was ist der größte Leckerbissen?" – "Das Ei."
EIN JAHR später kommt derselbe Mann zur selben Stelle, wo Dante sitzt. Er fragt: "Mit was?"
Und Dante: "Mit Salz!"
So hat der Schauspieler, Komiker, Regisseur Roberto Benigni in Italien Werbung für den Landsmann und dessen "Göttliche Komödie" gemacht. Mit Entertainment, das kindliche Freude vermitteln wollte, weil da jemand vor 700 Jahren für uns vom Göttlichen geträumt hat.
Show
Sibylle Lewitscharoff ("Apostoloff", "Blumenberg") hat 2013 den wichtigsten deutschen Literaturpreis, den Büchner-Preis, gewonnen. Da kann sie nicht so draufhauen wie Benigni.
Aber sie kann mit Wörtern Spaß treiben – die "Verkürbissung" eines (vergreisenden) Menschen gefällt ihr gut.
Und sie hat Witz, also zieht auch die Stuttgarterin eine kleine Show ab für ihren Dante ...
Ein Universitätsprofessor fühlt sich als Fliegenschiss. Er duscht sich nicht mehr.
Und das kam so:
34 internationale Dante-Forscher treffen einander 2013 bei den Maltesern auf dem aventinischen Hügel in Rom zum Kongress und reden über die Seelenwanderung durch Hölle, Fegefeuer, hinauf in den Himmel.
Als die Glocken des Petersdoms das Pfingstfest einläuten, geschieht – wie in der Bibel – ein Wunder: Die Gelehrten können Sprachen reden und verstehen, die sie eigentlich nicht reden und verstehen können.
Äthiopisch etwa. Oder sogar Zirpen und Blöken.
Danach fliegen sie in die Höhe. Dohlen fliegen mit ihnen, keine Tauben, darüber kann man zusätzlich nachdenken, wenn man Privatgelehrter werden will. Denn Dohlen kommen in der Bibel als "unreine" Vögel vor.
Alle werden erlöst und verschwinden.
Nur Univ.-Prof. Gottlieb Elsheimer, 62, aus Frankfurt bleibt zurück. Das Wunder macht ein Bogerl.
Ihn haben Schönheit, Poesie und Glaube nicht in den Himmel getrieben.
Das macht ihn nicht unbedingt unsympathisch.
Aufruhr
Er ist halt bloß ein Erdenwicht, ein ungläubiger, jetzt auch ein unglücklicher.
Das ist die Show. Der traurige Gottlieb ist unser verwirrter Erzähler.
Dahinter versucht Sibylle Lewitscharoff, die berühmte "Göttliche Komödie" zu durchdringen. Von Gesang zu Gesang geht sie und interpretiert mithilfe vieler echter namhafter Forscher.
Einen Aufruhr in Herz und Hirn zu verursachen, das wäre ihr Ziel. Auch bei denjenigen, die Dante noch nicht gelesen haben.
Also bei fast allen.
***
Sie liebt die Übersetzung von König Johann von Sachsen aus dem 19. Jahrhundert. Trotzdem sollen hier die Reclam-Bände von Hartmut Köhler empfohlen werden.
Dante starb bald nach Abschluss seines "heiligen Gedichts", und auch Köhler verschwand sozusagen nach fertiger Arbeit, 2012.
Sibylle Lewitscharoff:
„Das Pfingstwunder“
Suhrkamp Verlag. 350 Seiten. 24,70 Euro.
KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern