Neu aufgelegte Bücher und eine Ausstellung zu H.C. Artmanns 100er
Am 12. Juni feiert die Literaturwelt den 100. Geburtstag des am 4. Dezember 2000 verstorbenen Dichters H.C. Artmann. Zwei neu aufgelegte Bücher über ihn sind bereits erschienen, auf die für Anfang Juni angekündigte große neue Biografie von Veronika Premer und Marc-Oliver Schuster muss man indes noch länger warten. Das Erscheinen müsse um zumindest ein Jahr verschoben werden, hieß es im Residenz Verlag. Die coronabedingten Archiv-Schließungen hätten die Recherchen behindert.
Schon vor 20 Jahren sind Michael Horowitz' "Annäherungen an den Schriftsteller und Sprachspieler", der "med ana schwoazzn dintn" berühmt wurde, erschienen. Anlässlich des 100. Geburtstags des u.a. mit dem Großen Österreichischen Staatspreis und dem Georg-Büchner-Preis Ausgezeichneten, ist im Ueberreuter Verlag unter dem Titel "H.C. Artmann - Bohemien und Bürgerschreck" nun eine erweiterte, redigierte Neufassung erschienen. Das Buch legt sein Schwergewicht auf das Umfeld, in dem sich das dichterische Genie Artmanns entfaltet hatte - das ur-wienerische Milieu im Vorort Breitensee, die Atmosphäre der 1950er- und 60er-Jahre zwischen Dumpfheit und Aufbruch, die Avantgarde der "Wiener Gruppe". Horowitz stellt dem Buch ein im Dezember des Vorjahres geführtes Gespräch mit Rosa Pock-Artmann voran. "Wie würde er seinen 100. Geburtstag feiern?", lautet eine seiner Fragen. "Wie immer", antwortet die Witwe. "Man sitzt, spricht und trinkt. Er wäre froh und traurig zugleich, weil er das Leben sehr schätzte, auch wenn er immer wieder betont hat, wie schwer es ist, zu altern."
Nächtelange Gespräche über Jahre hinweg hat der ORF-Redakteur Kurt Hofmann mit dem Dichter geführt. Daraus entstand 2001 das Buch "ich bin abenteurer und nicht dichter", eine Art "Autobiografie", die nun ebenfalls neu aufgelegt wurde. Hofmann, der schon Gesprächs-Bücher über Thomas Bernhard und Friedrich Gulda gemacht hatte, verbiss sich in das von Artmann gar nicht goutierte Projekt und legte ihm schließlich ein über tausendseitiges Rohmanuskript vor. "Als Artmann das fertige Manuskript las, wenige Monate vor seinem Ableben, erschrak er: 'Was haben wir gemacht!' und 'Bring das erst raus, wenn ich nicht mehr bin!'" Hofmanns Buch streut in die umfangreichen Selbstzeugnisse ausgewählte Werkproben und zehn Fotos ein und ergänzt das Material mit der Rede, die Klaus Reichert bei Artmanns Begräbnis am 16. Dezember 2000 in der Verbrennungshalle Wien-Simmering gehalten hat. "Kein Dichter in diesem mit ihm zu Ende gehenden Jahrhundert hat so bedingungslos wie H. C. Artmann die Existenz und die Würde des Dichtens noch einmal vorgelebt. In keinem Dichter des Jahrhunderts kamen wie bei ihm noch einmal die Möglichkeiten des Dichtens in einer über tausendjährigen Tradition zusammen und zeigten sich wie gerade erst erschaffen, herrlich wie am ersten Tag", so Reichert. "Er war ein altersloser Dichter, dessen Zeit immer gekommen war. Jede Generation, bis herab zur jüngsten, konnte mit ihm, durch ihn, den Funken der Dichtung neu entfachen."
Seine Weiterwirkung belegt auch ein Klangbuch, das in Kürze erscheint: "Um zu tauschen Vers für Kuss" nennen Erwin Steinhauer, Georg Graf, Joe Pinkl und Peter Rosmanith ihre Text-Musik-Collage, die von Linda Wolfsgruber illustriert wird. "Die Musik ist vielschichtig wie die Geschichten, jongliert mit vielen Stilen und zaubert Kino für die Ohren. Ein poetisches Klangabenteuer", wirbt der Mandelbaum Verlag, der Buch und CD in Kürze herausbringt. Erschienen ist bereits das Büchlein "Übrig blieb ein moosgrüner Apfel - Gedichte und Prosa" im Insel Verlag, in dem die schönsten Naturgedichte Artmanns mit Illustrationen von Christian Thanhäuser und einem Nachwort von Clemens J. Setz ergänzt wurden.
"Med ana schwoazzn dintn" war 1958 das Buch, das Artmann "mit einem Schlag bekannt und populär" machte. "Kein Verlag hätte geglaubt, dass ein schmaler Band mit Gedichten - mit Gedichten, die im Dialekt geschrieben sind - auf Anhieb ein Bestseller werden könne", erinnerte er sich einmal. Heuer bringt der Otto Müller Verlag das Kultbuch in der zwölften Auflage heraus.
Und auch eine Ausstellung feiert den 100er von Hans Carl Artmann: Unter dem Titel "Recht herzliche Grüße vom Ende der Welt!" widmet man sich in der Wienbibliothek im Rathaus dem Thema Reisen in Leben und Werk des Dichters. "Zahlreiche Fotos, Lebensdokumente und Korrespondenzen zeugen ebenso wie Werke aus der Nachlassbibliothek von den Lebensstationen des vielsprachigen Dichters, die ihn bis an die Ränder Europas und weit darüber hinaus führten", heißt es in der Ankündigung. Die rund 50 Exponate belegen nicht nur reale, sondern auch dichterische Abschweifungen. "Man stelle sich Artmann in der jetzigen Zeit vor, ohne Möglichkeit, dem Drang nach spontanen Ortswechseln nachgeben zu können", so Gerhard Hubmann, der gemeinsam mit Marcel Atze die Schau, die am 9. Juni eröffnet wird, kuratiert. "Artmann hat aber auch demonstriert, wie fruchtbar das uneigentliche Reisen mittels Büchern, Texten und Schrift sein kann, und das ist zumindest ein Weg, der weiterhin offensteht. Artmanns Werke sind perfekte Reiseführer auf diesem Weg."