Kultur

Nazar: Fingerzeig vom Star aus Favoriten

Ich bin mit Falco aufgewachsen. Mein Stiefvater war ein großer Fan von österreichischen Filmen und österreichischer Musik und so hatte ich immer schon einen starken Bezug zu Ambros, Fendrich und Falco."

Nazar, Österreichs berühmtester Rapper, sagt das im KURIER-Interview (das gesamte Interview siehe unten) in einem Ton, als müsse er sich dafür verteidigen, dass er auf seiner Single "Zwischen Zeit und Raum" ein Falco-Feature hat. In Zusammenarbeit mit dem Falco-Produzenten Thomas Rabitsch hat er dessen Song "Die Königin von Eschnapur" mit einem Rap vervollständigt.

Kritik

Und jetzt hagelt es im Netz Kritik daran: "Die Leute sagen, Falco selbst hätte das nie zugelassen – das wissen sie, weil sie ja alle so gute Freunde von ihm waren. Dabei hat in diesem Fall tatsächlich noch Falcos Mutter kurz vor ihrem Tod das Okay dafür gegeben. Und sie sagen, dass ich das nur wegen des Geldes gemacht habe. Aber ich verdiene keine Cent daran, ich musste alle Rechte abgeben." – "Zwischen Zeit und Raum" war der Vorbote von "Camouflage", dem jetzt erschienenen neuen Album des 29-Jährigen, der mit drei Jahren mit seiner Mutter aus dem Iran nach Österreich geflüchtet war, nachdem sein Vater im ersten Golfkrieg gefallen war. "Ich bin sehr froh, dass ich hier leben kann", sagt er. "Aber ich würde gerne einmal jene Leute, die Flüchtlingen mit Hass begegnen, in der Situation sehen, dass sie selbst flüchten müssten und in einem Land mit Hass aufgenommen werden." Musikalisch ist "Camouflage" einmal mehr ein tolles Werk mit viel Atmosphäre in den Beats und Einflüssen aus Fernost, Pop und Filmmusik.

Im Titelsong "Camouflage" geht es um die Masken, die wir alle im Alltag aufsetzen. "Wir tarnen uns permanent. Ich bin zum Beispiel überall tätowiert. Eine Frau geht aus, schminkt sich, zieht sich ein ganz bestimmtes Outfit dafür an – sei es, weil sie einen Mann kennenlernen will, oder anders in einer bestimmten Gesellschaft nicht akzeptiert wird. In dem Song sage ich, dass wir uns in dieser Gesellschaft immer mehr dahin entwickeln, uns Masken aufzusetzen, um jemandem oder etwas gerecht zu werden."

Tarnung

Als Albumtitel, sagt Nazar, habe sich das Wort so gut geeignet, weil sein Aussehen, "das dem Prototyp des Kanaken entspricht", vielfach dazu führe, dass Leute seiner Musik keine Chance geben. "Die sehen mein Bild, schließen daraus, dass ich irgendein brutaler Kanake bin und hören deshalb schon gar nicht in die Musik rein. Da habe ich gedacht, na dann gebe ich euch diese Tarnung."

Auch in anderen Texten scheut Nazar sich nicht, Kontroversielles anzusprechen. Speziell im Song "Kanax".

Ist das eine Sammlung von Vorurteilen, die er selbst gehört hat? "Teilweise Vorurteile, aber auch Dinge, die einfach so sind. 99 Prozent davon sind richtig. Dabei darf man nicht vergessen, dass Kanax ein Begriff für Kanaken ist, die nicht viel davon halten, sich zu integrieren. Ich habe den Song auf das Album genommen, weil ich wusste, dass die jungen Kanaken den richtig abfeiern werden, weil sie denken, dass das eine Hymne für sie ist. Aber ich glaube auch, wenn sie das öfter hören und dann auch genau zuhören, dass sie dann schon verstehen, dass das eine Art Fingerzeig ist, mal darüber nachzudenken."

KURIER: Wieso wollten Sie ein Falco-Feature auf Ihrem neuen Album „Camouflage“ haben?

Nazar: Ich bin mit drei Jahren nach Wien gekommen. Und das Erste, was ich von ihm mitbekommen habe, war „Mutter, der Mann mit dem Koks ist da“. Das lief damals auf Viva und mir hat die Nummer und das Video viel gegeben, weil ich meine eigene Interpretation davon hatte. Denn ich habe als Kind nicht verstanden, dass es dabei um Drogen geht. Ich habe nur gesehen, dass da ein Mann mit Kohle kommt, der der armen Frau etwas zum Heizen bringt. Und wir haben damals halt auch in Wien in sehr schlimmen Verhältnissen gelebt – mein Bruder, meine Mutter und ich in einer 25-Quadratmeter-Wohnung. Und ich habe ja einen Stiefvater, der ist Österreicher. Er war – und ist noch immer - ein Fan von österreichischen Filmen und TV-Serien und österreichischer Musik. Er hat mir das sehr nahe gebracht.

Wie schwer war es, vom Falco-Nachlass die Rechte für „Die Königin von Eschnapur“ frei zu bekommen?

Das war schon ein mühsamer Prozess. Ich habe jetzt Kommentare im Netz gelesen, dass Falco das zu seinen Lebzeiten nie zugelassen hätte - das wissen sie, weil sie ja alle beste Freunde von ihm waren! Dabei hat in diesem Fall tatsächlich noch Falcos Mutter kurz vor ihrem Tod das Okay dafür gegeben. Aber wir mussten das davor mit Thomas Rabitsch klären, dann mit dem Label Sony und dann mit dem Falco-Nachlass. Viel Bürokratie, aber dafür ist es dann mit vier Monaten ohnehin schnell gegangen. Und im Übrigen verdiene ich daran keinen Cent. Auch das werfen sie mir im Netz vor, behaupten, ich hätte das nur wegen des Geldes gemacht. Aber ich musste alle Rechte abgeben.

Sie sagen, Sie sind sehr arm aufgewachsen. Sie waren ja auch einige Zeit in Traiskirchen. Wie waren damals die Zustände dort?

Daran kann ich mich nicht erinnern, ich war noch viel zu klein. Ich habe nur eine - sehr schlimme - Erinnerung daran: Ich bin als Kind operiert worden und hatte danach einen Gips auf beiden Beinen bis rauf zur Brust - einen Liegegips, wo noch eine Stange zwischen den Beinen war. Dann war damals eine Hochzeit unten im Saal und ich bin in der Nacht im Zimmer aufgewacht und habe Angst bekommen. Deshalb habe ich wahnwitzig versucht, die Treppe runterzugehen. Das war so eine lange Wendeltreppe und ich bin natürlich gleich bei der ersten - weil ich mit dem Gips nicht steigen konnte - die gesamten Treppe runtergeflogen. Davon habe ich jetzt immer noch eine Narbe am Kopf. Aber prinzipiell finde ich es schlimm, wenn man Leute nicht zuwandern lässt, die es notwendig haben. Und es ist ja nicht so, dass die Flüchtlinge den Staat Geld kosten, der Staat bekommt ja Geld von der EU dafür, dass er Flüchtlinge aufnimmt. Ich bin sehr froh, dass ich hier leben kann und danke Gott, dass es diese Republik geschafft hat, hier Stabilität aufzubauen. Aber ich würde gerne einmal jene Leute, die Flüchtlingen mit Hass begegnen, in der Situation sehen, dass sie selbst flüchten müssten und in einem Land mit Hass aufgenommen werden.

Haben Sie das Gefühl gehabt, mit Hass aufgenommen worden zu sein?

Zu meiner Zeit war das ganz anders. Damals war es noch sehr stark so, dass du das bekommen hast, was du gegeben hast. Wenn du ein normaler, höflicher Mensch warst und keine Probleme verursacht hast, hatte niemand ein Problem mit dir. Selbst in Favoriten, wo ich immer noch wohne, einem Bezirk in dem es heute kocht und brennt, wo die Proleten heute einen extremen Hass gegen Ausländer haben, war das zu meiner Zeit nicht so. Als wir damals nach Österreich gekommen sind haben wir sehr viel Liebe bekommen. Zum Beispiel werde ich die Frau Mali mein Leben lang nicht vergessen. Denn meine Mutter musste halt immer bis spät am Abend arbeiten, weil sie in einem Restaurant Teller gewaschen hat. Die Frau Mali war unsere Nachbarin und hat immer auf mich und meinen Bruder aufgepasst, als wären wir ihre eigenen Kinder. Und es gab die Elfi, das ist eine Bekannte von mir, die hat mich auch fast wie ihren eigenen Sohn großgezogen. Die war damals Nachmittagsbetreuerin am Theresianum, hat dann meine Mutter kennengelernt und gesagt, dass ich mit ihr zur Nachmittagsbetreuung kommen soll. Und deswegen - bevor wir zu viel über negative Dinge sprechen: Zu meiner Zeit gab es sehr viele Österreicher, die unfassbar viel für mich und meine Familie getan und uns sehr viel Liebe gegeben haben.

Im Song „Camouflage“ geht es um Masken, die wir im Alltag aufsetzen. Meinen Sie damit das Showbiz?

Nein, ganz generell: Wir tarnen uns permanent. Ich bin zum Beispiel überall tätowiert. Eine Frau geht aus, schminkt sich, zieht sich ein ganz bestimmtes Outfit dafür an – sei es, weil sie einen Mann kennenlernen will, oder anders in einer bestimmten Gesellschaft nicht akzeptiert wird. In dem Song sage ich, dass wir uns in dieser Gesellschaft immer mehr dahin entwickeln, uns Masken aufzusetzen, um jemandem oder etwas gerecht zu werden.

Warum haben Sie das Wort zum Albumtitel erkoren?

Weil mir einfach mit meinem Aussehen, das dem Prototyp eines Kanaken entspricht, sehr oft nicht einmal die Chance gegeben wird, dass jemand in mein Album rein hört. Die sehen mein Bild, schließen daraus, dass ich irgendein brutaler Kanake bin und hören deshalb schon gar nicht in die Musik rein. Da habe ich gedacht, na dann gebe ich euch eben diese Tarnung.

Ich nehme an, der Song „Kanax“ ist eine zynische Abhandlung von allen Vorurteilen, die sie je gehört haben.

Teilweise Vorurteile, aber auch Dinge, die einfach so sind. In dem Song sind sehr viele Zeilen so, wie Kanax nun einmal sind.

Welche Zeilen sind wahr, welche sind Vorurteile?

99 Prozent von dem Text sind richtig. Dabei darf man nicht vergessen, dass Kanax ein Begriff für Kanaken ist, die nicht viel davon halten, sich zu integrieren. Ich habe den Song bewusst auf das Album genommen, weil ich wusste, dass die jungen Kanaken den richtig abfeiern werden, weil sie denken, dass das eine Hymne für sie ist. Aber ich glaube auch, wenn sie das öfter hören und dann genau zuhören, schon verstehen werden, dass das eine Art Fingerzeig ist, mal darüber nachzudenken.

In dem Song "Intro" sagen Sie: „Ich schieße mit Blei“. Und ich habe das ganze Album über den Eindruck, dass Sie einerseits sehr auf Frieden bedacht sind, aber zwischendurch doch wieder nicht ganz sicher sind, ob gewisse Dinge mit Frieden zu erreichen sind. Sind Sie da tatsächlich in einem Konflikt?

Das haben Sie sehr gut und richtig erkannt. Am Ende des Tages nimmt man aber in der Hip-Hop-Sprache Sätze wie „Ich schieße mit Blei“ nicht, um auszudrücken, dass man jemanden töten will. Das ist ein Bild, um anzuzeigen, dass ich mich gegen die, die mich angreifen, wehren möchte. Und was definitiv bei mir ein Fakt ist: Ich bin der Meinung, dass gewisse Dinge nicht immer mit Frieden und Gesprächen gelöst werden können. Aber auch nicht mit Krieg. Ich bin der Meinung, dass manche Dinge auch ruppiger angefasst werden müssen, damit etwas in Bewegung kommt. Man sieht das ja an der österreichischen Politik – gerade was die Ausländerpolitik betrifft. Da werden viel zu viele Dinge zu behutsam angegriffen, um nur ja niemanden zu treffen. Und andererseits wird dann von der FPÖ so brutal vorgegangen, was dann eine unglaubliche Explosion auslöst. Um ans Ziel zu kommen muss ein Mittelweg gefunden werden.

In dem Song „Eines Tages“ sprechen Sie über Ihren Vater. Warum erst jetzt?

Ich war ein Baby, als er gestorben ist. Das ist ein schwieriges Thema für mich. Denn einerseits habe ich da meinen leiblichen Vater, den ich so nie wahrgenommen habe. Andererseits gibt es diesen Robert, meinen Stiefvater, der in unser Leben gekommen ist, als ich zehn Jahre alt war. Er hat mich aufgenommen wie sein leibliches Kind. Robert ist der der beste Mensch auf der Welt für mich. Er ist für mich mein Vater. Aber 14 Jahre nachdem wir geflohen sind, war ich dann zum ersten Mal wieder im Iran. Ich habe seine Familie getroffen und bin mit ihnen auch an sein Grab gefahren. Das war ein sehr komisches Gefühl. Deshalb fällt es mir schwer, darüber zu reden und ich sage nur kurz, dass wir uns eines Tages im Paradies sehen werden.

Sind sie noch regelmäßig im Iran?

Ich war die letzten neun Jahre nicht mehr dort, weil ich aufgrund der Musik Angst hatte. Es gab schon viele Fälle von Musikern, die in den Iran einreisen wollten und dann festgenommen wurden, weil diese Art von Musik dort verboten ist. Die einzige Musik, die gespielt werden darf, ist entweder fröhliche, in der es um das Land geht, oder religionsbezogene Musik. Aber das hat sich auch erst in den letzten Jahre gemildert. Davor gab es überhaupt keine Erlaubnis dafür, du wurdest verhaftet, wenn du im Auto westliche Musik gespielt hast. Das war schon schlimm. Aber meine Mutter war jetzt auf der iranischen Botschaft und hat sich erkundigt, ob es ein Problem geben könnte, wenn ich einreise. Die sagten nein, also werde ich es Ende des Jahres einmal versuchen. Mal schauen, was rauskommt.

Haben Sie je einen anderen Job als den des Musikers angestrebt?

Ich habe sehr viel gearbeitet, war Verkäufer in einem Shop an einer Tankstelle, Hilfsarbeiter am Bau, habe im Wienerwald gekellnert. Aber wirklich zufriedengestellt hat mich das nicht. Aber nachdem ich keine Ausbildung hatte, hatte ich nie die Möglichkeit, einen anderen coolen Job zu finden. Und ich hab halt auch viel Blödsinn auf der Straße gemacht.

Spielen Sie damit auf den Vorfall mit der Pistole an?

Nein, darauf, dass ich halt Gras geraucht habe. Zum Glück war‘s nur Gras und ich habe nie härtere Drogen genommen. Das mit der Pistole war eine ganz andere Geschichte - das war der größte Blödsinn. Da habe ich mich dazu verleiten lassen, dass ich einem Idioten, der mich wochenlang beleidigt hat und gedroht hat, mich umzubringen, zu sagen: „Na dann komm halt vor meine Wohnung!“. Ich bin dann wie ein Idiot runtergegangen, habe ihn im Auto gepackt, zusammengeschlagen und ihm mit der Waffe gedroht, dass er sich entschuldigen soll. Er ist dann zur Polizei gegangen, hat einen Zeugen erfunden, der behauptet hat, dass ich ihn ausgeraubt hätte. Daraufhin war ich sechs Wochen in Untersuchungshaft. Aber zum Glück hat das auch der Staatsanwalt dann irgendwann als komisch empfunden: Die haben Blut-Tests von mir gemacht, aber ich nehme keine Drogen. Ich hab keine Schulden und ich bin kriminell immer nur durch Schlägereien aufgefallen, nie durch Erpressung oder so etwas. Mein Anwalt war so klug, dass er das Handy vom Beifahrer outen ließ. Und dabei ist rausgekommen, dass sie mich erpressen wollten, was sie vor dem Staatsanwalt auch zugegeben haben. Während ich in Untersuchungshaft war, haben sie über Dritte meine Mutter kontaktiert und ihr ausrichten lassen, dass sie ihnen 40.000 Euro geben soll, damit sie vor der Polizei die Wahrheit sagen. In der österreichischen Presse hat mir das aber nicht mehr viel geholfen. Als die Anschuldigungen aufkamen, stand das groß in den Zeitungen. Aber als ich unschuldig gesprochen worden war, hat keiner mehr darüber berichtet. Und dieses Bild hat dann in Österreich schon sehr lange an mir gehaftet. Aber gut, ich bin natürlich auch selbst schuld - so einen Blödsinn darf man nicht machen.