Kultur

"Mundl"-Autor Ernst Hinterberger ist tot

Seine Schöpfungen werden zwar als Hauptfiguren der Folklore vereinnahmt, sind aber längst Teil einer viel wahrhaftigeren österreichischen Identität.

Der Mundl, die Gitti Schimek, die Turecek, der Trautmann – nichts davon hat er erfunden, wie er selber sagte. "Nein, ich hab sie gefunden. Der Schneckerl Prohaska hat mi amal g’fragt: ,Woher hast du mein’ Opa kannt? Der war genau wie der Mundl." Und a alter Kieberer is sich heut no sicher, dass sei’ Kollege, a gewisser ,Meier vier", weil’s durt scho drei andere Meier geb’n hat, die exakte Vorlag war für den Trautmann. Dabei kenn i kan’ von de zwa ..."

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"Wie ein Samurai ohne Schwert"

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Bereits im KURIER-Interview zu seinem 80. Geburtstag (siehe Hintergrund) war Ernst Hinterberger ein stiller Bilanzierender. Er, der zeitlebens gekämpft hatte – gegen soziale Ungerechtigkeit und für menschliche Solidarität –, gab nicht auf.
Er gab nur ein wenig nach. Müde und milde. "Ich habe ja längst die höchste Stufe erreicht, die ein Mensch im Diesseits erreichen kann."

Der bekennende Buddhist präzisierte es: "Die absolute Wunschlosigkeit." Er fühlte sich, sagte er, "nur noch wie ein Samurai ohne Schwert." Als seine zweite Frau, Karla, ihn Montagvormittag, ans Sterbebett im Spital gerufen, noch einmal sanft berührte, da hatte er seine "so schönen kleinen Hände" über seinen Bauch gelegt, "so wie immer, wenn er schlief".

Karla, mit der Hinterberger ein "Satori"-Erlebnis untrennbar verknüpfte – Satori: japanisch für "Verstehen" –, spricht wenig später fest und in sich ruhend: "Ein Erleuchteter ist verloschen."

Die beiden waren seit 2004 verheiratet, obwohl Hinterberger nach dem Tod seiner ersten Frau Greti (2001) nie wieder an eine Ehe gedacht hatte. Auf 44 Quadratmetern direkt am Margaretner Gürtel lebten und arbeiteten sie gemeinsam. Sie wurde unerlässlich für ihn, mehr noch: Sie wurden eins.

Denn: Hinterberger, den das schöpferische Satori bei der Lektüre der Werke schonungsloser "Menschen- und Unmenschenbeschreiber" – Alfons Petzold (1882–1923) und Oskar Maria Graf (1894– 1967) – erfasst hatte, litt zuletzt, neben seiner beruflich erworbenen Lungenschwäche, zudem an fortschreitender Erblindung. Karla las die Zeilen, die er täglich, im winzigen Erker am zugigen Fen- ster in eine Reiseschreibmaschine hämmerte (ein letales Finale für Trautmann als Roman), und schrieb sie Abend für Abend ins Reine.

"Woanders als in Margareten wollt’ i nie sein"

In Hollywood hätte Hinterberger wohl in einer Traumvilla residiert. In Österreich lebte er freilich viel lieber. "Woanders als in Margareten wollt’ i nie sein", sagte er, "des is a guater Boden. Da kummen der Moser, der Falco und der Kreisky her." Und überhaupt: "Waaßt – Hietzing und Döbling san für mi scho wia Ausland."

Hinterberger galt als große Stimme der kleinen Leute.
Sie, die heimlichen Helden der Peripherie , hob er in den rührenden, niemals rührseligen Epen, aufs Podest. Der "Kaisermühlen Blues" etwa war ursprünglich "eine Ode an die alleinerziehende Mutter der Vorstadt". Marianne Mendt verkörperte sie als Trafikantin Gitti Schimek – so kongenial wie Wolfgang Böck den rundlichen Krimineser mit Kanten und Ecken.

Hinterberger sah Böck, als er mit Adi Hirschal "Strizzi-Lieder" intonierte: "In dera Sekund’n hab i g’wusst, des is er. Mei’ Trautmann."

Seinen Buddhismus legte er so an wie Ikkyu Sotcho (im 15. Jahrhundert): "Man kann mich an drei Orten treffen – im Kloster, im Bordell und im Gasthaus."

Sein politisches Vermächtnis klingt bitterer: "Der Todfeind der Sozialdemokratie ist die Gier ... Also net so sehr die Grassers, sondern die Grassers in der SPÖ. Wirst seh’n, es wird alles noch vü, vü schlimmer."

Dieter Chmelar

Zur Person: Vom Proleten zum Poeten

Ehrenkieberer
Das Arbeiterkind (geboren am 17. Oktober 1931 in Wien-Margareten) lernte Elektriker und wurde Sicherheitswachebeamter. Wegen Fehlsichtigkeit entlassen (heute: "Ehrenkieberer"), wechselte Hinterberger als Expedient in eine säureverarbeitende Fabrik, wo er sich seine Lungenkrankheit zuzog.

TV-Kult
Die drei größten Erfolge Hinterbergers: "Ein echter Wiener geht nicht unter" (24 Folgen, ab 1975, zwei Kinofilme), "Kaisermühlen Blues" (64 Folgen, 1992–’99) und "Trautmann" (10 Folgen, 2000–’05). Figuren wie der herbe Vorstädter "Mundl" Sackbauer wurden TV-Kult.

Erleuchtung
Hinterberger wechselte früh vom Katholizismus zum Buddhismus.

In memoriam
ORF 2 zeigt am Donnerstag, 17. Mai, ab 21.30 eine Ernst-Hinterberger-Nacht.

Reaktionen auf den Tod von Ernst Hinterberger

"Ernst Hinterberger hat die Sprache der Österreicherinnen und Österreicher gesprochen und Themen aufgegriffen, die das Land tatsächlich bewegten. Niemals scheute er den politischen Konflikt als Aufgabe der Literatur. In diesem Sinne war er ein wahrer Volksdichter des 20. Jahrhunderts ohne Schnörkeln und ästhetische Verschönerungen. Durch seinen Tod verliert Österreich einen herausragenden Künstler der Alltagssprache", so Kulturministerin Claudia Schmied zum Tod von Ernst Hinterberger.

"Ernst Hinterberger war ein Original und schuf Originale, war eine Persönlichkeit und schuf Persönlichkeiten", so ÖVP-Kultursprecherin Silvia Fuhrman.

"Mit Ernst Hinterberger verlieren wir einen vielseitigen Künstler, der gleich mehrfach Fernsehgeschichte geschrieben hat. Als Autor von `Ein echter Wiener geht nicht unter`, `Kaisermühlen-Blues` und `Trautmann` hat er unvergessliche Publikumserfolge geschaffen, die immer auch Milieustudien und nachdenklich machende Sozialgeschichten waren", so SPÖ-Kultursprecherin Sonja Ablinger.

Tief betroffen vom Tod Ernst Hinterbergers zeigt sich AK Präsident Herbert Tumpel: "Als Schriftsteller und Drehbuchautor hat Ernst Hinterberger dafür gesorgt, dass die gewöhnlichen Menschen in unserer Gesellschaft auch als wichtig gelten. Dieses Anliegen haben wir geteilt." Für die "kleinen Leute" schrieb Ernst Hinterberger auch 15 Jahre lang die Kolumne "Kollegen" in AK FÜR SIE, der Mitgliederzeitschrift der Arbeiterkammer Wien. "Ernst Hinterberger stand auf der richtigen Seite", sagt Tumpel, "mein Mitgefühl gehört seinen Angehörigen, besonders seiner Frau Carla." - "Wir haben nicht nur einen Kollegen, wir haben einen Freund verloren."

"Hinterberger hat die Seele der Österreicher unvergleichlich verstanden und mit großer Originalität und Witz in seinen Figuren widergespiegelt", so FP-Kultursprecherin Heidemarie Unterreiner.

"Die unverkrampfte und offene Persönlichkeit Hinterbergers wird der österreichischen Kultur fehlen", betonte Unterreiner. "Seine legendären Figuren, über die wir uns köstlich amüsiert haben, werden das Andenken an ihn noch lange aufrecht erhalten", so Unterreiner weiter.

"Wien verliert mit Ernst Hinterberger einen Künstler, der mit seiner Heimatstadt für immer aufs Engste verbunden bleiben wird," reagiert Wiens Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny betroffen auf das Ableben des Schriftstellers. "Er hat die einfachen Menschen in den Mittelpunkt seiner Geschichten gestellt. Arbeiter und Arbeitslose, Hausmeister, Polizisten und Trafikanten waren die Helden seiner Texte, denen er und damit auch der Stadt ein literarisches Denkmal gesetzt hat. Seine Bücher `Ein echter Wiener geht nicht unter`, `Kaisermühlen Blues` und `Trautmann` sind legendär und haben Kultstatus. Seine ungeteilte Sympathie gehörte den Schwachen, den Armen, jenen, die auf der unteren Skala in der Gesellschaft rangieren, jenen, die keine Sprache haben. Ihnen gab er eine Stimme", schloss Mailath.

"Mit Ernst Hinterberger beendet ein unbestechlicher Geschichtenerzähler seine Passion und Österreich verliert einen Künstler der es schaffte alle Bevölkerungsschichten anzusprechen", sagt der Kultursprecher der Grünen, Wolfgang Zinggl.

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