Kultur

Michael Heltau: „Ich habe ein Lebenstalent“

Er war Hamlet, Romeo und Wallenstein, Mackie Messer, der Zerrissene, Anatol ... Aber die Schauspielerei sei das geringste seiner Talente, sagt Michael Heltau, der am 5. Juli seinen 80 Geburtstag feiert. „Ich habe ein Lebenstalent.“

KURIER: Leonard Cohen, 78, Paolo Conte, 76, Charles Aznavour, 89, Paul McCartney, 71, Juliette Gréco, 86: Sie stehen alle weiterhin auf der Bühne. Was macht ihren Erfolg aus?

Michael Heltau: Sie haben ein Ablaufdatum wie alle Menschen. Aber das Publikum hat mit ihnen – auch mit mir in Wien – eine gemeinsame Biografie. Und Leute in meinem Alter sagen den Jungen: Den hättest du sehen müssen als Hamlet, als Higgins, als Bluntschli, als Anatol … Es ist ein Glück, dass man in dem Alter noch da ist. Charles Aznavour sagte einmal zu mir: „Ich mache es für mich.“

Aus Spaß an der Freud'. Wie Sie mit Ihrem mittlerweile 33. Solo „Es ist immer jetzt“?

Ich müsste ja nicht. Die Streisand zuletzt im Juni live in Berlin war sicher auch etwas Besonderes. Aber das Besondere ist nur noch möglich, wenn man sich große Pausen erlaubt. Im Bühnenberuf muss man riskieren, bei Lebzeiten ein paar Mal vergessen und bei Lebzeiten ein paar Mal wiederentdeckt zu werden. Nur so lohnt es sich, alt zu werden.

Und jung im Kopf zu bleiben?

Ja, weil wir gern haben, was wir tun. Weil wir die Kindlichkeit, das Staunen und das Verliebtsein bis zum Gehtnichtmehr nicht verloren haben. Wir sammeln Glücksbröckerln ...

Wann hat das begonnen?

Als ich mit 15 oder 16 in Ingolstadt zum ersten Mal einen Film mit Fred Astaire und Ginger Rodgers sah, war ich verzaubert und staunte, dass es so was gibt in dieser biederen armen Welt nach dem Krieg. Glücksbringer wie der haben sich eingenistet bei mir. Später kam Judy Garland dazu.

Mit welchen Folgen?

Du kannst nicht nur bewundern ohne die Konsequenz: Bemühe dich! Nimm „Ich weiß auf der Wieden ein kleines Hotel“ und dieses Genre Unterhaltung ernst!

„Auf d'Nacht, Herr Direktor!“ Wie kam es dazu?

Möglich gemacht hat’s Gerd Bacher. Er war ein Mann, der am Theater wie auch im ORF Dinge gefunden, erfunden, erspürt und dann möglich gemacht hat. Er hatte selber Ideen. Und es wäre wichtig, dass die Leute, die heute dort sitzen, nicht nur wie Agenturen irgendwo in der Welt einkaufen.

Sie waren ein noch relativ junger Debütant im neuen Genre?

Ja, auch mit dem Risiko, durch einen Absturz meine Schauspielerkarriere zu beschädigen. Jacques Brel hätte auch ein Todesurteil für mich sein können.

Und in der heutigen TV-Welt ...

... ist niemand, der einem wie mir damals Unterstützung geben würde. Ich war bei Bacher Chefsache.

Kabarett-Altmeister Dieter Hildebrandt schrieb: „Die Öffentlich-Rechtlichen machen sich in jede Hose, die man ihnen hinhält, und die Privaten senden das, was drin ist.“

Darüber kann ich nicht lachen, weil die Diagnose wahr ist. Dort regiert die hoch bezahlte Ängstlichkeit.

Haben Sie nach Ihrem Lieblingsregisseur Giorgio Strehler noch sinnliches Theater erlebt?

Ja, bei Patrice Chéreau bei den Wiener Festwochen. Und wer einst seine „Lulu“ sah, der bleibt so einem Regisseur auf den Fersen. Aber das Theater heute leidet wie das Leben an Amnesie, also an Gedächtnisverlust, sagte Luc Bondy. Ich bin da seiner Meinung. Andererseits fehlt dem Theater die Großzügigkeit, auch anderes zuzulassen neben den Textflächen und neben dem, was für mich meist kühner als mutig und oft etwas inflationär ist.

Ihre Solo-Abende sind schlicht.

Das ist mein Ziel. Keine Dekoration, keine Ablenkung. Nichts. Nur ein gutes Licht. Dann sagen die Leute am Bühnentürl so schön: Es war gar nix auf der Bühne, aber man hat alles gesehen.

Ein Jahr ohne Italien ist für Sie ein trauriges Jahr. Warum?

Weil ich die Italiener gern habe. Obwohl ich den Kopf schüttle, wenn ich hier lese, was dort los ist, und mich dann dort frage: Wo sind sie denn, die Berlusconi-Wähler?Die Frage ist auch in Wien: Wer wählt allen Ernstes Strache?Die erkenne ich besser, weil wir hier zu Hause sind. Ich bilde mir ein, an den Physiognomien zu erkennen, wer was wählt. Obwohl es Täuscher gibt.

Der Philosoph Sir Karl Popper unternahm mit 90 seinen er­sten Segelflug. Ihr Herzenswunsch zum runden Geburtstag?

Ich werde mich hüten, mir etwas zu wünschen. Das könnte ja etwas viel weniger Tolles sein, als ich es jeden Tag erlebe. Mein Leben war und ist von so vielen glücklichen Umständen geprägt. Warum soll ich mir da noch mehr wünschen?

Und was kommt mit dem Tod?

Ich mache mich auf ein großes Abenteuer gefasst.

Michael Heltau: Ein bewegtes Leben

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