Kultur/Medien

"Spiegel"-Fälscher Relotius rühmt sich in Video seiner Sorgfalt

Der Fall Relotius beschäftigt weiter die deutsche Medienbranche. Der Spiegel-Reporter Claas Relotius musste zugeben, viele Texte gefälscht sowie Protagonisten und Geschehnisse teilweise völlig erfunden zu haben. Der Spiegel deckte den Betrugsfall am Mittwoch selbst auf.

Unter neuem Licht erscheinen nun scheinbar meisterhaft recherchierte Texte für das deutsche Nachrichtenmagazin:

  • In "Die letzte Zeugin" fährt eine Amerikanerin durch das ganze Land zu Hinrichtungen.
  • In "Ein Kinderspiel" glaubt ein syrischer Bub, mit einem Graffito den Bürgerkrieg in Syrien mitausgelöst zu haben.
  • In der Reportage "In einer kleinen Stadt" schildert Relotius die dumpfe Bösartigkeit der Trump-Wähler im ländlichen Minnesota. Doch viele Wesenszüge von Protagonisten und Gespräche sind frei erfunden.

Sogar ein Gespräch mit der letzten Überlebenden der "Weißen Rose", der Widerstandsgruppe gegen die Nazis, soll Relotius "nachgebessert" haben. Die 99-jährige Traute Lafrenz nennt Teile des damaligen Texts nun, wiederum im Spiegel, "miserabel".

Viel Interesse an altem Video

Als Reaktion auf den Skandal haben Chefredaktion und Geschäftsführung des Spiegel eine Kommission "aus drei erfahrenen Journalisten" einberufen. Sie soll die Abläufe im Haus und das "Versagen der Sicherungssysteme", vor allem wohl der Abteilung Dokumentation, untersuchen.

Besonders viele Klicks bekommt unterdessen ein Video von 2015, in dem Claas Relotius mit Daniel Puntas Bernet, Chefredakteur des Schweizer Magazins Reportagen, und dem Journalisten Roland Schulz in einem Hamburger Handtaschen-Shop spricht.

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Eine Zuhörerin der Podiumsdiskussion fragt: Wie viel Fantasie steckt in Ihren Texten? Relotius nimmt Bezug auf eine Spiegel-Reportage über Horst Seehofer des Journalisten René Pfister. Diesem ist der renommierte Henri-Nannen-Preis einst aberkannt worden, nachdem er im Einstieg des Texts zwar Seehofers Beschäftigung im Keller mit seiner Modelleisenbahn beschrieben, aber nicht kenntlich gemacht hatte, dass er die Szene nur erzählt bekommen hatte.

Relotius: "Ich bin immer noch so zwiegespalten, weil ich oftmals das Gefühl habe, dass mich das im Text stört, wenn immer davor steht: Das weiß man daher, und das weiß man daher."

Das verlangsame einen Text, sagt der - bis heute unbestrittene - Kollege Schulz. Dinge zu erfinden sei aber ein "No-Go".

"Vertraue, dass der Leser vertraut"

Über seine damals aktuelle Reportage sagt Relotius zur Angabe seiner Quellen im Text: "Irgendwann verschwimmt es auch, es steht nicht mehr genau davor, sondern ich vertraue quasi darauf, dass der Leser vertraut, dass das irgendwie vernünftig recherchiert ist." Soll heißen: Man kann sich auf Sorgfalt bei der Recherche verlassen.

Der Leser wisse, sagt Relotius weiter, dass das "wahrscheinlich noch" doppelt gesichert ist: Die Informationen über einen Protagonisten seien zum Beispiel von diesem selbst und dann durch Akten oder Freunde des Protagonisten noch einmal überprüft. "Es steht aber nicht immer davor", sagt Relotius damals.

Relotius' Auftritt im Mai 2015 wird von den Nutzern bei Youtube nun äußerst kritisch bewertet. In den Kommentaren heißt es etwa: "Seine vagen, lockeren, teilweise gestammelten Antworten erscheinen nun in einem ganz anderen Licht."