"Pro & Contra" zum Ballett-Skandal: "Das gehört dazu"
Von Georg Leyrer
* Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends*
Man weiß nicht, wer von "Dancing Stars"-Jurorin Karina Sarkissova weniger Punkte bekommen würde, wenn man sie ließe: Stefan Petzner (dem sie null geben wollte, was sie aber nicht durfte) oder der Skandal an der Ballettakademie der Wiener Staatsoper.
Bei "Pro & Contra" (PULS4) war die Ballerina zu Gast, um mit betroffenen SchülerInnen, dem Aufdecker des Skandals, Falter-Chefredakteur Florian Klenk, und, warum auch immer, Bariton Clemens Unterreiner (er sagte wenig, aber Versöhnliches) über die nötige, vor allem aber über die Grenzen überschreitende Härte in der Ballettausbildung zu reden.
Es war spannender als viele Ballettabende.
Einerseits, weil hier Welten aufeinanderprallten: Hier Sarkissova, die in dem ganzen höchstens Nebenfigur, dafür aus dem TV bekannt ist - und sichtlich selbst durch die harte Schule der Ballett-Ausbildung gegangen ist, und vieles, was der Ex-Schüler und die Ex-Schülerin sagten, abtat: "Das gehört dazu", war der Schlüsselsatz des Abends.
Auf der anderen Seite ein Ex-Schüler und eine Ex-Schülerin, die sichtlich damit kämpften, ihre Erlebnisse einzuordnen: Sie wollten Gehör finden für das, was sie erlebt, was ihnen gesagt wurde - und was sie damit anfangen sollen.
"Ich könnte einer Diät folgen", wurde Viola Gregoroni, jetzt Ex-Schülerin, als Mädchen gesagt - das gibt es nur noch dort, wo gar niemand heutige Grenzen kennt.
"Ich habe gelernt, dass das eine Grenze ist", sagte Wendelin Vieweider dazu, dass er als Ballettschüler an den Haaren gezogen wurde. Er meint: Jetzt gelernt. Damals war das für ihn normal.
Man ahnte, was diese Menschen als Kinder in ohnehin schon schwierigen Phasen des Erwachsenwerdens, des Grenzenziehens für brutale Zusatzherausforderungen erlebten - auch abseits des Strafbaren.
Sarkissova schaute dabei streng.
Denn dort, wo es nicht um sichtlich Strafbares - wie sexuelle Übergriffe oder das in der Sendung ebenfalls erwähnte Liegenlassen eines Kindes mit Knöchelbruch - ging, machte sie deutlich, dass die Grenze zur Kuschelpädagogik im Ballettkontext bei ihr ungefähr dort liegt, wo andere schon längst Stadtschulrat und Staatsanwalt einschalten.
Es wurde schön spürbar gemacht, wie wenig Wert auf Widerrede in der Spitzenkunst gelegt wird: Sarkissova hinterfragte jede Äußerung der Ex-Schüler, mal ruppig, mal spöttisch, kaum je jedoch mit Interesse, sie ließ immer wieder wissen, dass vieles von dem, was angeprangert wird - Kritik am Körpergewicht der Schülerinnen, Haare-Ziehen, um Positionen zu korrigieren - in Ordnung, wenn nicht nötig war. "Ich habe das nicht erfunden", sagte sie. Und: "Vielleicht ist dann dein Körper nicht für Ballett geschaffen."
Wie das beim TV-Publikum ankommt? Offenbar nicht sehr gut.
Es war aber auch spannend, weil Sarkissova hier Ärger abbekam, der nichts mit ihr zu tun hat. Vieles mäanderte an der feinen Linie in einer Diskussion entlang, an der auf der einen Seite der Druck und der Ehrgeiz des Spitzenkunst liegen, und es auf der anderen Seite sofort unmenschlich wird. Man muss schon sehr genau hinschauen, um diese Linie nachzeichnen zu können, das gelang der Diskussion nicht.
Sarkissova nahm jene gelernte Position ein, die sie an die Staatsopern in Wien und Budapest geführt hat: Das rechte Maß an Qual gehört dazu, die Kinder, die das nicht aushalten, werden es nicht schaffen. Schwer zu sagen, wo da das Stockholm-Syndrom endet und die Sorge um die Kunst anfängt. Eine Außengrenze aber ist das Fernsehen: Dass man hier mit dieser Position untergeht, dass diejenige, die Unangenehmes sagen muss - es gelten im Spitzenbereich andere Regeln als im Alltag -, zum Blitzableiter wird (wie schon zuvor im ORF), das war das am wenigsten Spannende des Abends.