Kultur/Medien

Das Streamingfernsehen sucht sich ganz neue Zielgruppen

Menschen sind, man weiß das, nicht nur reich und schön, und nicht immer knapp vor oder bereits in einer Mittlebenskrise.

So banal diese Feststellung ist, so schwer hatte es das Fernsehen früher damit: Wer auf die Quote oder die Werbetreibenden (für die es nur Menschen zwischen 12 und 49 gibt) schauen muss, der bügelt seine Charaktere und seine Geschichten so lange zurecht, bis sie da irgendwie hineinpassen, ins Durchschnittsalter und das Durchschnittserscheinungsbild der Zusehenden.

Am Ende schaut dann alles aus wie eine Nachmittags-Soap-Opera, wie die „Vorstadtweiber“ oder die allermeisten Fernsehfilme.

Sex im Alter

Wie schade das ist, zeigt das Streamingfernsehen. Das funktioniert nach anderen Gesetzen als Quote – und kann, neben Drachen und Superhelden, daher auch andere Bilder vom Menschen zeigen: vielfältigere, nämlich, und lange fehlende.

Etwa von Frauen jenseits der 70, die einen für Hände dieses Alters tauglichen Vibrator entwickeln und diesen auch verkaufen. Und nicht nur das: In der letzten Staffel von „Grace und Frankie“, zu sehen bei Netflix, entwickeln sie ein hydraulisches Klo, das älteren Menschen beim Aufstehen hilft. Aber es ist keine Geriatrie-Studie: Die Serie zeigt, dass alte Menschen Bedürfnisse und Schwächen haben, aber vor allem ein Leben, das sich nicht nur ums Alter dreht. Und ja, darüber kann man eine humorvolle Serie machen.

Ebenso wie über das schwierige Leben auf dem Land. Viel wurde in den USA nach dem Wahlsieg Donald Trumps über jene Menschen zwischen den Küsten gesprochen, die sich von den Eliten übergangen, überflogen fühlen. Und ausgerechnet das Streamingfernsehen gab ihnen prompt eine Stimme: „The Ranch“ (Netflix), mit Ashton Kutcher, zeigt die Schwierigkeiten des Farmer-Lebens, von Waldbränden bis zur Abwanderung der Frauen, von Krankheiten bis zur Drogenproblematik, die auch abseits der Großstädte wütet. Die Randfiguren stehen hier im Mittelpunkt, und auch „The Ranch“ hat eine gut gelaunte Tonalität.

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Ebenso wie „Ramy“ (bei Starzplay), wo ebenfalls eine oft in die Bösewichtrolle abgeschobene oder als politischer Spielball missbrauchte Randgruppe plötzlich im Zentrum steht: ein muslimischer junger Mann, nämlich. Der ist nicht in allen Punkten gleich streng mit sich: Sex vor der Ehe findet er okay, Alkohol ist hingegen tabu. Comedian Ramy Youssef zeigt, schräg, oft lustig, nicht immer leicht verdaulich, was so ein Leben heute ausmacht: Herausforderungen nämlich, und die Suche nach einem Ort im Leben.

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„Grace und Frankie“ sowie „The Ranch“ hatten bereits ihre jeweils letzte Staffel; anschauen kann man sich das alles natürlich trotzdem noch. Und man könnte die Bilder vom Menschen im normalen Fernsehen dann durchaus eingeengt finden.