Mailand: Proteste bei Scala-Premiere mit russischer Oper
Die Mailänder Scala hat am Mittwochabend ihre neue Saison mit der russischen Oper "Boris Godunow" von Modest Mussorgski eröffnet. Die Premiere mit vielen prominenten Gästen wurde von Protesten überschattet. Eine Gruppe linksradikaler Aktivisten versuchte, die Sperren vor dem Eingang des Theaters zu durchbrechen, sie wurde jedoch von den Sicherheitskräften zurückgedrängt. Die Aktivisten demonstrierten gegen hohe Energiepreise und gegen die Rechtsregierung in Rom.
Die Scala erlebte eine unruhige Saisoneröffnung. Auch einige Mitglieder der ukrainischen Gemeinschaft Mailands protestierten vor dem Theater gegen die Premiere mit der russischen Oper. Die Demonstranten zeigten Plakate mit dem Slogan: "Die Scala darf nicht Putins Propaganda begünstigen". "Wir lieben Dostojewski, weil er wusste, dass auf jedes Verbrechen eine Strafe folgt", hieß es auf einem anderen Plakat. Geschwenkt wurde auch ein rot-schwarzes Plakat mit einem Hakenkreuz und dem Gesicht des russischen Präsidenten Wladimir Putin sowie der Aufschrift "Stoppt die Kriege, stoppt Russland, stoppt Putin".
Viele Demonstranten trugen die blau-gelbe Flagge der Ukraine. "Diese Demonstration richtet sich nicht gegen die Kultur, sondern gegen die Propaganda", sagte einer der Organisatoren. "Wir sind gegen die Eröffnung der Scala-Saison mit einer russischen Oper, was von Moskau instrumentalisiert werden könnte", meinte ein Demonstrant.
Fünf Mitglieder der italienischen Klimagruppe "Ultima Generazione" (Letzte Generation) wurden am Mittwoch von der Mailänder Polizei festgenommen, nachdem sie vor der Scala-Premiere blaue Farbe auf die Fassade des Theaters geschüttet hatten. Dabei handelte es sich um die jüngste Aktion aus einer Reihe von umstrittenen Protesten der Gruppe in Italien, mit denen sie auf die Notwendigkeit hinweisen wollten, die Klimakrise zu bekämpfen. Die Aktivisten wurden angezeigt, teilte die Polizei mit. Das Scala-Personal reinigte die Fassade des Theaters.
Ein Zeichen mit Applaus
Nichts gegen die russische Kultur und das russische Volk, aber gegen sein Regime: Die Premiere von Boris Godunow, einem Meisterwerk des russischen Komponisten Modest Mussorgsky, an der Scala war eine Gelegenheit, die politische Position Italiens und Europas nach dem Angriff von Wladimir Putin auf die Ukraine zu bekräftigen. Die Premiere begann mit einem langen Applaus für Staatschef Sergio Mattarella. Zu Ehren der EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, die neben Mattarella in der Königsloge des Opernhauses saß, spielte das Scala-Orchester unter der Leitung von Scala-Musikdirektor Riccardo Chailly die europäische Hymne "Ode an die Freude". "Wir dürfen nicht zulassen, dass (der russische Präsident Wladimir) Putin, Russland, dieses wunderbare Land, zerstört. Ich denke, dass die russischen Komponisten wie Mussorgski oder Tschaikowski, und Schriftsteller wie Tolstoj oder Dostojewski fantastisch sind", meinte von der Leyen.
Zu den prominenten Zuschauern zählten auch die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni und mehrere Minister ihres Kabinetts, der frühere Intendant des Wiener Musikvereins Thomas Angyan und der Kulturmanager und Intendant des Florentiner Opernhauses "Maggio musicale fiorentino", Alexander Pereira.
Auf Kritik über den Beschluss der Scala, die Saison 2022-2023 mit einer russischen Oper zu eröffnen, erwiderte Meloni, man dürfe Kultur mit Politik nicht vermischen. "Wir haben nichts gegen das russische Volk. Wir sind gegen eine Regierung, die einen souveränen Staat angegriffen hat", sagte Meloni, die in einem langen blauen Armani-Kleid und in Begleitung ihres Lebensgefährten Andrea Giambruno zu ihrer ersten Scala-Premiere erschien.
Die Scala hatte kürzlich ablehnend auf den Appell des ukrainischen Konsuls in Mailand, Andrej Kartysch, reagiert, der das Theater zum Verzicht auf die Aufführung der russischen Oper aufgerufen hatte. "Wir sind alle an der Seite der Ukraine und warten auf ein Ende des Konflikts, aber die Politik und ihre Folgen dürfen nicht die Kultur beeinflussen", sagte Scala-Musikdirektor Riccardo Chailly.
"Boris Godunow" wurde 1909 an der Scala erstmals in Italien aufgeführt und war auch in den folgenden Spielzeiten oft präsent, insbesondere dank Arturo Toscanini, der die Oper zwischen 1922 und 1927 vier Spielzeiten lang dirigierte. Die Scala feiert traditionsgemäß am 7. Dezember, dem Tag des Heiligen Ambrosius, dem Schutzpatron der Stadt Mailand, den Beginn der neuen Saison.