Kultur

"Macbeth“ mit Netrebko und Domingo in Berlin: Der Sabbat der Hexenmeister

Eine alte Theaterweisheit besagt: Über Aufführungen von „Macbeth“ (gemeint ist Shakespeare, gilt aber auch für Verdi) liegt ein Fluch. Im Fall der Berliner Staatsoper Unter den Linden traf er aber nicht die Premiere – die war höchstens verflucht gut! –, sondern das zeitlich parallel dazu stattfindende Auftaktspiel der deutschen Nationalmannschaft bei der WM.

Hängende Gesichter auf der Fanmeile in Berlin, begeisterte Besucher auf dem Bebelplatz vor dem Operntheater, auf den die Aufführung für -zigtausende Besucher live übertragen wurde. Ja, mit dem schottischen Stück legt man sich nicht an, schon gar nicht, wenn es gegen Mexiko geht, wo der oberste Hexenmeister des Landes den 1:0-Sieg vorausgesagt hatte.

Das Dreigestirn

Im traumhaft schönen und akustisch fabelhaft renovierten Opernhaus Unter den Linden, wo gerade das historische Stadtzentrum Berlins neu entsteht, waren ebenso drei Hexenmeister am Werk und höchst aktiv, nicht wie jener aus Goethes „Zauberlehrling“, der sich einmal folgenschwer wegbegeben hatte. Wobei: Auch von diesen drei Zauberern können sich nachfolgende Generationen vermutlich noch lange etwas abschauen.

Die Hexenmeister der Berliner Premiere von Verdis „Macbeth“: Dirigent Daniel Barenboim, 75 Jahre jung; Neo-Bariton Plácido Domingo, laut Biografie 77 Jahre alt, künstlerisch jedoch immer-jung; sowie Regisseur Harry Kupfer, 82-jährig und in seinen Inszenierungen dynamisch wie wenige Junge.

Dieses betagte Dreigestirn bescherte dem Opernhaus und seinem Intendanten Matthias Schulz einen triumphalen Erfolg. Dies vorweg, um die Produktion nicht auf einen Namen – für Schnellleser: Ja, ANNA NETREBKO sang auch und sogar grandios – zu reduzieren, sondern als gemeinschaftlichen Erfolg großer Künstler auszuweisen.

Die Musik

Beginnen wir bei Barenboim: Wie dieser einzigartige Musiker mit seiner Staatskapelle diese Verdi-Oper gestaltete, verdient das Prädikat „besonders wertvoll“. Mit Farbenpracht und Präzision, mit musikdramaturgischer Erzählkraft, vielen Accelerandi und Ritardandi, nie willkürlich wirkend, sondern stets plausibel, mit zartesten Pinselstrichen und heftigen Kontrasten realisierte er die Partitur höchst sensibel und in vielen Momenten sogar kammermusikalisch. Barenboims „Macbeth“ ist kein Kraftakt, sondern die Geschichte eines gebrochenen, einsamen Königs. Und passt damit ideal zur Titelfigur, die von Plácido Domingo berührend gestaltet wurde.

Es stimmt schon, dass Domingos Stimme in den tieferen Registern präsenter sein könnte. Aber wenn sie zu strahlen beginnt, wenn der Jahrhundert-Sänger, der 159 Partien im Repertoire hat, seine Phrasierungskunst zeigt, wenn er mit größter Hingabe diese Rolle gestaltet, kann man nicht anders, als ihn nach wie vor zu bewundern. Sein Macbeth im Theater an der Wien war zweifellos nicht sein größter Erfolg, in der Berliner Luft jedoch macht er den schottischen König zu einem tragischen Lear, zur zentralen Altersrolle.

Der Superstar von heute

Anna Netrebko ist mit ihrem dunkel timbrierten Sopran eine phänomenale Lady an seiner Seite, sicher in der Höhe, mächtig in der Tiefe, nach wie vor erstaunlich wendig in den Koloraturen. Ihr Spiel changiert zwischen Einsatz ihrer Verführungskünste – wenn sie etwa auf einem weißen Sofa liegend zu ihrer ersten großen Szene heraufgefahren wird – und Blutrünstigkeit. Die Schlafwandelszene gestaltet sie hinreißend, keine nimmt im Moment auf der Bühne so schön Abschied vom Leben wie sie.

Kwangchul Youn ist ein mächtiger, nobel phrasierender Banquo. Phänomenal singt Fabio Sartori den Macduff – schön, ausdrucksstark, mit wunderbarer Italianità. Dass er am Ende gefeiert wurde wie seine berühmteren Kollegen, ist erfreulich.

Die Inszenierung von Harry Kupfer passt optisch perfekt zur düstersten aller Verdi-Opern. Kupfer erzählt eine allzeit gültige Geschichte von Krieg, Machtergreifung und Machterhalt. Seine Hexen plündern gleich im ersten Bild das Schlachtfeld mit dutzenden Leichen, sie sehen aus wie verwahrloste Opfer einer Apokalypse.

Die geniale Technik

Binnen Sekunden lässt der Regisseur – mithilfe der lautlos sich bewegenden Hubpodien im technisch wohl am besten ausgestatteten Opernhaus der Welt – den kalten Salon des Macbeth vor einer Ruine entstehen. Überhaupt ist die Bühne von Hans Schavernoch mit den vielen Projektionen (Thomas Reimer), mit Kriegsschauplätzen, dem brennenden Wald von Birnam und der abgeschlossenen Königswelt, die sich mehr und mehr zu einem Krater wandelt, beeindruckend. Mehr als 550 Kostüme hat Yan Tax entworfen – auch sie sorgen für tolle Schaueffekte.

Die Uniformen sind an den italienischen Faschismus angelehnt, die Geschichte könnte aber in jeder Unterdrücker-Gesellschaft spielen – Kupfer ist zu klug, um sich auf eine Epoche festzulegen.

Mag sein, dass andere „Macbeth“-Inszenierungen radikaler waren. Aber dieser Sabbat der Hexenmeister ist wie eine Hommage an die höchste Form der Opernkunst, bei der es irrelevant ist, ob eine Produktion progressiv oder traditionell ist und es nur auf die Qualität ankommt. Das Publikum dankte jubelnd. „Macbeth“ in Berlin – kein Fluch, sondern ein Segen. Am Donnerstag kann es der geneigte Opernliebhaber im Hauptabend auf Arte selbst beurteilen.