Lehár Festival: Pointierte Kritik an der Obrigkeit
Mit Paul Abrahams schriller Jazz-Revue-Operette „Die Blume von Hawaii“ aus dem Jahr 1931 hat Thomas Enzinger, Intendant der „Lehár-Festspiele“, im Vorjahr seine erste Spielzeit eröffnet. Ebenso provokant wie programmatisch. Denn in Bad Ischl wurde bis dahin noch nie ein Werk dieses jüdischen Komponisten gespielt, dessen tragische Lebensgeschichte nach der Vertreibung durch die Nazis aus Deutschland im Wahnsinn endete.
Auch in seiner zweiten Saison zeigt Enzinger, ein gebürtiger Wiener, viel Sinn für Unterhaltung, Witz und gute Laune, aber auch für ein adäquates Geschichtsbewusstsein.
Denn wieder steht ein Werk eines jüdischen Komponisten auf dem Programm: „Pariser Leben“ von Jacques Offenbach. Der Sohn eines Kantors der Kölner Synagoge war bereits als 14-Jähriger nach Frankreich ausgewandert. Zwar wurde Offenbach seiner Frau zuliebe katholisch, aber die Nazis verboten trotzdem rund 70 Jahre später seine Melodien – als „jüdische Machwerke“.
Skandalträchtig war das „Pariser Leben“ schon 1866 bei der Uraufführung, weil die Operette Liebe und Lust in für damalige Zeiten in ungewohnt freizügiger Weise auf die Bühne brachte. Intendant Enzinger kommt Offenbachs Werk gerade recht, weil es vor Satire und Kritik an den Verhältnissen und der Obrigkeit nur so strotzt.
Unterhaltung, die zugleich der Gesellschaft auf den Zahn fühlt, ist ganz im Sinne Enzingers – und das hat auch mit der Geschichte der K.u.K.-Kurstadt zu tun. Kaiser Franz Joseph verbrachte 82 Sommer in Ischl. Und wenn er nicht gestorben wäre, dann wären die Rehe und Hirsche in den Wäldern rundherum bis heute nicht sicher. 50.000 Tiere soll der schießfreudige Jagdherr in dieser Gegend zur Strecke gebracht haben. Und auch die eine oder andere Dame war angeblich vor kaiserlichen Nachstellungen nicht sicher.
Kaisers Geburtstag
In Ischl hatte sich Franz Joseph übrigens auch mit seiner Sissi verlobt und die meisten seiner Geburtstage gefeiert.
Nach wie vor wird jedes Jahr am 18. August in Bad Ischl des Kaisers Geburtstag zelebriert. Sissis und Franz Josephs fahren in der Kutsche durch die Stadt. Und die Kur-Orchester spielen auf.
Die 1961 gegründeten Operettenfestspiele sind aber einem anderen „Kaiser“ gewidmet: Franz Lehár. Er wurde seinerzeit zum Ehrenbürger von Bad Ischl, weil er hier seine großen Welterfolge schrieb. Dass Lehár – neben Richard Strauss und Richard Wagner – zu Hitlers Lieblingskomponisten gehörte, passt zur Geschichte des Salzkammerguts. Bis zur Machtergreifung der Nazis in Deutschland war die Gegend bei jüdischen Künstlern und Intellektuellen beliebt, da sie dort – in Bad Ischl wie in Bad Aussee – ab den 1860er-Jahren Haus- und Grundbesitz erwerben durften.
Die Stimmung kippte allerdings in der Lehár-Stadt schon sehr früh. Dem Nationalsozialismus nahe stehende Ischler forderten ab 1933 „arische Sommerfrische“.
Enzinger will sich als Intendant der „Lehár-Festspiele“ nicht nur der Vergangenheit stellen, sondern auch die Weichen für die Zukunft des Festivals stellen, das sich zu 85 Prozent über die Karteneinnahmen finanziert.
Zu Operetten, wie das – mit pointierten Seitenhieben auf aktuelle Ereignisse in Österreichs Politik angereicherte – „Pariser Leben“ und dem als Revue inszenierten „Weißen Rössl“ kommen im August auch die Uraufführung der symphonischen Dichtung „Oniweig – die arme Seele vom See“ von Christian Brandauer und „Die Lilly vom Piccadilly“, ebenfalls eine Uraufführung von und mit Susanne Marik, die den Weg der Operette zum Musical nachzeichnet.
Der Intendant will generell das Genre der Operette ins Heute holen: „Im nächsten Jahr gibt es einen Schwerpunkt rund um den 150. Geburtstag von Franz Lehár. Dass er einer von Hitlers Lieblingskomponisten war, dafür kann er nur bedingt etwas – aber natürlich werden wir uns damit, sowie auch mit Lehárs Haltung dazu auseinandersetzen. Wir werden einen kritischen Blick darauf werfen – und einen respektvollen Blick auf die Opfer.“
Thomas Enzinger im Interview
Kurier: Sie reagieren mit Ihrer Programmierung des „Lehár-Festivals“ sehr bewusst auf die Geschichte von Bad Ischl. Sehen Sie die als Inspiration oder eher als Belastung?
Thomas Enzinger: Die Geschichte ist hier natürlich überall präsent. So hat zum Beispiel hundert Meter von hier (Anm.: das Interview findet im Kurhaus statt) Emmerich Kálmán „Die Csárdásfürstin“ geschrieben. Bad Ischl war das Zentrum der Operette. Die Stücke waren damals hochmodern, weil sie ja für das zeitgenössische Publikum geschrieben wurden. Und ich gehe davon aus, dass Theater immer live, also gerade jetzt vor unseren Augen stattfindet und daher muss man auch das Genre der Operette ins Heute holen. Aber natürlich ist für mich auch das dunkle Kapitel von Bad Ischl sehr präsent. Im nächsten Jahr gibt es einen Schwerpunkt rund um den 150. Geburtstag von Franz Lehár. Dass er einer von Hitlers Lieblingskomponisten war, dafür kann er nur bedingt etwas – aber natürlich werden wir uns damit, sowie auch mit Lehárs Haltung dazu auseinandersetzen. Wir werden einen kritischen Blick darauf werfen – und einen respektvollen Blick auf die Opfer.
Operetten werden oft als allzu seichte Unterhaltung gesehen und entsprechend wenig ernst genommen. Sie haben sich als Regisseur dem politischen Hintergrund einzelner Werke und dem Schicksal ihrer Komponisten gestellt. Haben Sie vor der Zusage der Intendanz in Bad Ischl die Bedingung gestellt, dass Sie bei der Wahl der Werke und Ihren Inszenierungen völlig freie Hand haben?
Thomas Enzinger: Das Lehár-Festival ist ein Verein und ich bin diesem Verein natürlich verantwortlich für das was ich tue. Aber solange ich im Budget bleibe, kann ich künstlerisch tun, was ich für richtig halte. Die ausgewählten Operetten und Inszenierungen sollten allerdings auch beim Publikum funktionieren, weil wir uns hier zu 85% über die Karteneinnahmen finanzieren. Das gibt es sonst kaum in Österreich. Ich sehe mich als ein – wie ich hoffe – Aufbereiter der gesellschaftspolitischen Hintergründe der hier gezeigten Werke. Mir ist aber dabei immer bewusst, dass ich mein Publikum unterhalten muss – und auch will.
Sie waren im Laufe ihrer künstlerischen Karriere auch Kabarettist – unter anderem im „Simpl“ – und Kabarett ist ja an sich ein Prototyp dafür, wie sich Kunst und politische Kommentare verbinden lassen. Hat Ihre Kabarettisten-Erfahrung auch Einfluss auf Ihre Inszenierungen?
Die Zeit im „Simpl“ war für mich eine ganz, ganz große Schule und natürlich fließen diese Erfahrungen auch in meine Inszenierungen ein. Seither weiß ich wie man Pointen setzt. Und natürlich hilft das Kabarett auch dabei, politische Botschaften mit hintergründigem Witz zu servieren. Ich bin ein politisch sehr interessierter Mensch, aber es geht mir in meiner künstlerischen Arbeit nicht um Tagespolitik, sondern um dauerhafte menschliche Werte.
Sie sagen, dass sich das Bad Ischler Operettenfestival zu 85 % aus Einnahmen finanziert. Glauben – oder besser: hoffen Sie, dass das Publikum Ihren anspruchsvollen Zugang zu diesem Genre nachvollziehen wird und will?
Ich will das Publikum natürlich vor allem auch unterhalten – und wenn es daneben etwas zum Nachdenken serviert bekommt, ist das ja sicher kein Nachteil. Aber es wäre wünschenswert, dass sich für unser Festival auch Sponsoren interessieren, die unseren Zugang zum Operetten-Genre mögen. Wir würden vor allem auch Geld brauchen, um die akustischen Anforderungen des Theatersaals den modernen Ansprüchen anzupassen.