Kultur

Killer lernen Zähne putzen

Man macht viel mit auf dem Ritt nach Kalifornien, zwischen zwei Psychopathen.Das waren Zeiten: Wollte man sich beim Nachbarn eine Säge ausborgen, und der hat ein bissl gezögert, na, dann hat man ihn halt erschossen.

Die fünf anderen, die dummerweise dabei gestanden sind, ebenso.

Und der nette Zahnarzt bekommt immerhin die Faust am Ohr zu spüren. Dabei hat er den Killern pfefferminziges Zahnpulver und eine Bürste geschenkt und ihnen Unterricht gegeben, wie man putzt, von oben nach unten. Fürs Zähneziehen aber wagt er es, Geld zu verlangen.
Und bumm.
Weit hat’s die Menschheit also noch nicht gebracht im Jahr 1851, als die zwei Brüder mit dem Namen Sisters, die „Die Sisters Brothers“, von Oregon nach Kalifornien reiten. Das sind an die 1000 Kilometer.

Sie sind Killer im Auftrag eines geheimnisvollen „Kommodore“. Einen rotbärtigen Goldgräber namens Kermit Warm suchen sie. Der hat etwas entdeckt, um Gold in den Flüssen bei San Francisco sichtbar zu machen.

Was Leichteres

„Die Sisters Brothers“ sind keine Westernkomödie.
Auch wenn man sieht, wie ein Pferd in einen Baum rennt.
Auch wenn Eli Sisters – er ist es, der uns die Geschichte erzählt – angesichts einer Frau abnehmen will und im Saloon „was Leichteres“ bestellt als Steak mit Bohnen.
Kellner: „Sie wollen etwas essen, von dem man nicht satt wird?“
Köchin: „Haben Sie keinen Hunger?“
Eli Sisters: „Ich bin sogar völlig ausgehungert. Trotzdem hätte ich gern etwas weniger Sättigendes, etwas ohne diese Völle, um es mal so zu sagen.“
Köchin: „Also, wenn ich was esse, habe ich gern etwas Sättigendes.“
Kellner: „Das ist der Sinn vom Essen.“
Gebt ihm endlich die verdammten KAROTTEN, die im Kaninchenstall liegen!
... aber das Lächeln wird vergehen.
Was (fast) bis zum Schluss im Kopf bleibt, ist die Gier. Ein Roman über die Gier ist das, brutal, traurig.
Da können die Taschen noch so mit geraubten Geldscheinen gestopft sein: Man geht nicht zum teuren Tierarzt, sondern schält das verletzte Auge seines Pferdes mit dem Suppenlöffel aus dem Schädel.

Eli ist halbwegs okay. Sensibel (ein wenig). Romantisch. Er zweifelt an seinem Bauch und am Beruf. Sein Bruder Charlie aber, der ist der ärgste Psychopath.

Aus diesem Duo entstand dieses schräge existenzialistische Buch, mit dem der Kanadier Patrick deWitt, 37, in die enge Auswahl für den Booker Prize 2011 kam.

Gelobt wurde seine Außergewöhnlichkeit.

Sechster Blick

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Genau die sorgt jedoch dafür, dass die Brüder keine Liebe auf den ersten Blick sein können. Aber auf den sechsten, siebenten.
So seltsam ... Wer ist die Alte in Lumpenhülle, die Steine auf einen Draht fädelt? Das Kind, das einen dreibeinigen Hund vergiftet?

Wer ist der Cowboy, der weinend durchs den Wilden Westen läuft und nicht verrät, was ihn plagt?

So unterschiedlich ... Zuerst fühlt man sich beim Lesen holladrio, dann spürt man Sätze, die mit der Peitsche geschrieben wurden. Und dann: Wärme.
Überraschende Wärme.
Weil es noch eine Mutter gibt; und die hat Rindsragout und ein sauberes Zimmer für ihre alten Buben.

KURIER-Wertung: **** von *****

Für den 77-jährigen Amerikaner Robert Littell ist und bleibt der Brite John le Carré, 80, der große Meister der Spionageromane.
Mit zunehmendem Alter aber hat Littell, früher Russland-Korrespondent der Newsweek, John le Carré, früher Spion des britischen Geheimdienstes, ganz schön etwas vorgelegt (gewissermaßen): etwa „Das Stalin-Epigramm“, „Die kalte Legende“, „Die Company“.

Jetzt „Philby“.

Beide Schriftsteller hatten dem Doppelagenten Kim Philby (1912–1988) in ihren Büchern bereits Rollen gegeben. Er arbeitete für Briten und Sowjets.

Ironischer

Le Carré schenkte dem Cambridge-Absolventen, Abenteurer, Antifaschisten und Kommunisten vor allem Verachtung. Littell ist ironischer, wenn er Philby porträtiert. Eine wahre Geschichte, die sich auch auf ein Gespräch mit dem früheren Jerusalemer Bürgermeister Teddy Kollek stützt. Kollek war nach dem Krieg Mossad-Agent und kannte Kim Philby.

Obwohl inzwischen in Moskau Dokumente auftauchten, wonach der Engländer Informationen über die US-Atombombe an Stalin weitergegeben haben soll, bleibt vieles rätselhaft.

Und so nimmt sich Littell erzählerische Freiheiten, um seine Version vorzutragen, in der die Russen „bis zum Geht-nicht-mehr“ mit Unsinn gefüttert worden sind.

Ein vielstimmiges Porträt, klug, virtuos. Auf Spannung ist es nicht aus, aber auf ein schwindliges und schwindelig machendes Agentenspiel.

KURIER-Wertung: **** von *****