Jude Law in Wien: Kaltwasserbäder im Schmieröl
Von Peter Jarolin
Auch auf die Gefahr hin, als konservativ oder gar als reaktionär gebrandmarkt zu werden: Es gibt sie also doch noch, die eine oder andere (eher die eine) Produktion der diesjährigen Wiener Festwochen, die nicht krampfhaft jung, hip, gender, queer, postkolonial oder pseudo-aktionistisch sein will. Nein, mit "Obsession" von Regisseur Ivo van Hove ist in der Halle E des Museumsquartiers (bis Samstag) einfach Theater zu sehen. Noch dazu mit einem echten Hollywood-Star in der Hauptrolle, nämlich mit Jude Law.
Endlich also einmal alles gut an der Festwochen-Performance-Front? Ja und nein. Denn Ivo van Hoves szenische Umsetzung des legendären Films "Ossessione", mit dem Luchino Visconti 1943 den italienischen Neorealismus begründete, hat auch ihre Schwächen. Hollywood-Flair hin oder her.
Leidenschaftlich
Worum geht es? Visconti und auch Ivo van Hove haben als Basis für ihre Arbeiten den Klassiker "Wenn der Postmann zweimal klingelt" von James M. Cain genommen. Und so lernt der junge Landstreicher Gino an einer Tankstelle samt Raststation die junge Giovanna (bei Van Hove: Hanna) kennen, die unbefriedigte Frau des ältlichen Besitzers Giuseppe/Joseph. Die beiden beginnen eine leidenschaftliche, auf Sex basierende Affäre und räumen eines Tages Hannas Mann aus dem Weg. Doch das "Glück" der beiden zerbricht letztlich ...
Jan Versweyveld hat für diese fatale Grundkonstellation ein düsteres, in Braun gehaltenes Setting geschaffen, das dreigeteilt wird. Links eine Art Bar, an der die frustrierte Hanna durchaus Fleisch mit dem Hackbeil malträtiert. Edward Hoppers berühmtes Gemälde "Nighthawks" lässt grüßen. Rechts gibt es eine Art Waschtrog samt Fließwasser; hier soll der Schmutz des Lebens abgewaschen werden. Und in der Mitte prangt ein Motor von der Decke – er wird als Mordwerkzeug dienen. Statt Blut spritzt Schmieröl, auch bei Hannas Tod.
Leidenschaftslos
All das ist – auch dank einer riesigen Fensterflucht, eines Laufbandes und Projektionen, die Hanna und Gino in Close-ups zeigen – zumindest in der Halle E überdimensioniert. Echte Intimität oder gar Leidenschaft kommt in diesem Rahmen nicht auf. Vielmehr dekliniert Ivo van Hove einzelne Szenen kühl und distanziert – auch mittels Auslassungen – durch. Distanz statt Nähe, Härte statt Gefühl ist hier oberstes, analytisches Gebot.
Damit kommt Ivo van Hove zwar dem Neorealismus nahe; die (halbgar) freizügigen Sexszenen bleiben aber steril, die Charaktere mutieren trotz hohem Körpereinsatz zu Schablonen. Kühltemperatur statt steigender Fieberkurve – gewollt?
Schauwerte aber gibt es natürlich. Etwa für die weiblichen Besucher, wenn Jude Law seinen gestählten, nackten Oberkörper präsentiert. Oder wenn Halina Reijn als Hanna fast nackt in den Badetrog steigt. Oder wenn deren Ehemann Joseph – Gijs Scholten van Aschat spielt nicht nur gut, sondern singt auch die Arie des Giorgio Germont extrem anständig – im Schmieröl ertrinkt. Der schwule Herumtreiber Johnny (smart: Robert de Hoog) bringt zudem eine offene Homoerotik in das Ganze. Chukwudi Iwuji (Priester/Inspektor) sowie Aysha Kala (Anita) füllen ihre Rollen solide aus.
Posenanfällig
Und das Hauptpaar, vor allem Jude Law? Der agiert als verzweifelter Gino sehr – formulieren wir es so – dezent. Auf der Leinwand und im TV hat Law bekanntlich eine starke Präsenz; auf der Bühne übt er sich mehr in Posen. Hängende Arme als Zeichen der Verzweiflung, viele Kilometer auf dem Laufband als Symbol der Getriebenheit und nachdenkliches Schauen (auch via Leinwand) als Stigma der Heimatlosigkeit. Das sind zwar schöne Kontraste zu der sehr bodenständigen, in den jeweiligen Situationen klar verankerten Halina Reijn als Hanna, es irritiert aber auch ein wenig.
Egal! Das Publikum applaudierte dem gesamten Ensemble (es gab bei der Premiere keine Einzelvorhänge) sehr freundlich. Auch weil es wieder Theater sehen durfte?