Kultur

"Ich bin selbst mein größter Feind"

In John Hopkins’ Stück "Diese Geschichte von Ihnen" (1973 unter dem Titel "The Offence" von Sidney Lumet mit Sean Connery verfilmt) geht es um einen unerklärlichen Ausbruch von Gewalt. In Andrea Breths Regie spielt Nicholas Ofczarek ab 28. Jänner im Akademietheater einen Polizisten, der einen des Kindesmissbrauchs Verdächtigen (August Diehl) im Verhör totschlägt.

KURIER: Sie gelten als Schauspieler, der sich den Probenprozess alles andere als leicht macht. Wie ist das bei den Vorbereitungen zu "Diese Geschichte von Ihnen"?

Nicholas Ofczarek: Wir arbeiten hart. Ich habe so ein Stück noch nicht gespielt – das sagt man oft, aber es stimmt. Es ist unglaublich komplex. Ein Neuntausender – ich weiß, das gibt es nicht! – ohne Sauerstoff.

Was ist ungewöhnlich daran?

Dass man in einer Duo-Szene eine Stunde auf der Bühne steht, dann in der nächsten Zweierszene wieder eine Stunde, und dann nach der Pause noch einmal eine Stunde ... das ist, wie man auf Deutsch sagt (spricht betont Deutsch-Deutsch): viel Holz. Die Rolle ist extrem vielschichtig und intensiv. Der Text ist sehr genau, setzt aber dann in seiner Genauigkeit eine gewisse Anarchie frei.

Andrea Breth ist ja dann die ideale Regisseurin für das Stück, denn sie arbeitet gerne ganz genau.

Sie ist eine sehr gute Beobachterin, hat Vertrauen in die Schauspieler und in das Stück. Sie lässt uns unsere Erfahrungen machen. Man verwirft dann zwar vieles wieder, aber es bleibt dennoch anwesend. Sie nennt das "Schichtkäse". Ich rede jetzt nicht von großer Harmonie auf den Proben – wir ringen um etwas! Aber auf sehr erwachsene Weise.

Sie sind ja keiner, der am Theater die Harmonie sucht.

Ich mache es mir schon selber richtig schwer – ich bin mein schärfster Kritiker und mein größter Feind. Ich hätte es gerne anders. Ich glaube nicht, dass man als Schauspieler unbedingt leiden muss – aber man soll Umwege gehen, man soll auch in falsche Richtungen gehen. Die Chance des Theater ist ja die Unmittelbarkeit, dass man in etwas hineingezogen wird, was jetzt stattfindet, dass man nicht nur Zuschauer ist, sondern ... Voyeur.

Das Stück wurde 1968 geschrieben, aber es liest sich, als stamme es aus unserer Gegenwart.

Es gab eine deutschsprachige Erstaufführung 1971 in Stuttgart, Andrea Breth hat sie gesehen. Die Inszenierung hat damals für Aufsehen gesorgt, war auch beim Theatertreffen. Es wird nur selten gespielt, ist aber ein richtig gutes Stück. Andrea Breth wollte es seit damals machen!

Es handelt von Gewalt.

Es handelt von Gewalt, von Ohnmacht, von Unausgesprochenem, von Korruption, von Manipulation.

Gewalt als Folge von Ohnmacht – das ist ein bestimmendes Thema unserer Zeit.

Wir leben in einer sehr vernetzten Welt, wir scheinen so wahnsinnig informiert zu sein. Aber das erlöst uns nicht von einer großen Ohnmacht und Sprachlosigkeit. Das Stück hat viel mit uns zu tun. Es heißt ja "Diese Geschichte von Ihnen". Wir haben alle das Gefühl, in einer Zeit des Wandels zu sein, am Abgrund zu stehen, ohnmächtig zu sein. Das macht uns manipulierbar. Es ist ein unglaublich zeitgemäßes Stück!

Wie ist die Zusammenarbeit mit August Diehl?

Ich halte den August Diehl ja für DEN Schauspieler meiner Generation. Ich bin ein bisschen befangen, weil ich ihn so sehr schätze. Er hat ein tolles Handwerk und dazu etwas, was man gar nicht benennen kann.

Gibt es neue Film- und Fernsehrollen?

Ich habe einen Frankfurter "Tatort" gedreht, mit dem neuen Team Margarita Broich und Wolfram Koch. Ein sehr gutes Buch, eine sehr interessante Regisseurin, Hermine Huntgeburth. Und ich werde mit David Schalko den Wiener "Landkrimi" drehen. Ich spiele einen falschen Polizisten.

Sie werden ja gern mit sinistren Typen besetzt.

Ja, komischerweise. Aber das ist doch herrlich!

Bei den Salzburger Festspielen spielen Sie in Becketts "Endspiel".

Ja, in der Regie von Dieter Dorn! Letztes Jahr habe ich nur mit weiblichen Regisseuren gearbeitet, heuer arbeite ich nur mit alten Meistern. Eine gute Mischung.

Mit wem würden Sie gerne arbeiten, hatten aber noch keine Gelegenheit dazu?

Ich würde gerne einmal mit Simon Stone arbeiten und mit Alvis Hermanis.

Um Alvis Hermanis gab es Aufregung, weil er die "Willkommenskultur" gegenüber Flüchtlingen scharf kritisiert hat.

Dagegen sprechen sich jetzt ja auf einmal die meisten Leute aus ... Ich mache bei diesem Thema gerne einen Schritt zurück. Was ich feststelle: Dass die Politik nur in Legislaturperioden denkt, sie kommuniziert nicht. Etwa beim Thema Flüchtlings-Obergrenze: Die einen fordern sie, die anderen sind dagegen. Man unterschätzt den Bürger, indem man nur sagt JA oder NEIN. Es muss das Warum kommuniziert werden.

Vergangenen Sommer wurde bei einer "Jedermann"-Aufführung aus Protest gegen den im Publikum sitzenden HC Strache die "Internationale" angespielt. Die Schauspielerin Katharina Stemberger hat diese Aktion verteidigt, Festspielchef Sven-Eric Bechtolf hat sich distanziert. Wie hätte Ihnen als früherer "Jedermann"-Darsteller so eine Aktion gefallen?

Ich verstehe Bechtolf. Mich hätte es gestört. Die Inhalte des Stücks sollen treffen! So etwas zu machen, nur, weil jemand im Publikum sitzt ... ich finde das entbehrlich.

Wie ist die Stimmung an der Burg, im zweiten Jahr der Direktion von Karin Bergmann?

Das Angenehme ist, dass es jetzt wieder mehr um die Arbeit und die Steigerung der Qualität geht und weniger um Befindlichkeiten.

Inwiefern hat die Qualität nicht gestimmt?

Sie war meiner Ansicht nach zu flach und zu beliebig. Wirklich wohlgefühlt habe ich mich da nicht. Die Grundstimmung am Haus war keine besonders gute. Ich will mich da auf keine Seite stellen, denn das Thema ist sehr komplex – aber wenn Sie mich so fragen: Ich fühle mich jetzt besser. Ich bin taktische Spielchen einfach leid.