Kultur

"Haneke ist der beste Regisseur der Welt"

Jean-Louis Trintignant sagt, was er sich denkt. Der große alte Herr des französischen Kinos hat keine Lust, mit 81 Jahren durch die Blume zu sprechen. Wach und lebhaft sitzt er in seinem Hotelzimmer in Cannes, raucht und redet. Klare, auch selbstkritische Worte fallen und traurige Sätze über eine Zukunft, die womöglich nicht mehr allzu lange andauert. Ein KURIER-Gespräch mit Jean-Louis Trintignant über seine Rolle in Michael Hanekes großartigem Wettbewerbsbeitrag "Amour" in Cannes, den Tod und die Vaterliebe.

KURIER: "Amour" ist der erste Film, den Sie nach einer langen Pause gedreht haben. Wie gelang es Michael Haneke, Sie zu gewinnen?

Jean-Louis Trintignant: Michael Haneke ist für mich der beste Regisseur der Welt ist. Sein Angebot kam, als es mir nicht besonders gut ging. Ehrlich gesagt, dachte ich gerade an Selbstmord. Da meinte die Produzentin des Films zu mir: "Umbringen kannst du dich nachher immer noch. Aber wenn du den Film jetzt nicht machst, wirst du es bereuen." Da habe ich schließlich zugesagt.

Haneke gilt als sehr anspruchsvoller Regisseur.
Er hat seinen ganzen Film im Kopf und weiß genau, was er will. Das kann anstrengend sein. Es war eine wunderbare Arbeit, doch es gab auch schmerzhafte Momente – aber vielleicht bin ich ja auch Masochist.

Sie haben selbst zwei Filme gedreht ...
Ja, aber die sind nicht sonderlich gut. Eigentlich wollte ich Rennfahrer werden, aber dafür war ich nicht geeignet. Erst auf der Schauspielschule stellte sich heraus, dass da mein Talent liegt.

In "Amour" pflegen Sie Ihre Frau – gespielt von Emmanuelle Riva – bis zum Tod.
Im wirklichen Leben wäre es eher umgekehrt: ich habe eine jüngere Frau, die sich um mich kümmert.

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Warum haben Sie so lange keine Filme gemacht?
Ich wollte Theater spielen. Außerdem sehe ich mich nicht gerne auf der Leinwand. "Amour" ist der erste Film, bei dem ich mir gerne selbst zuschaue. Aber normalerweise bemerke ich immer nur meine Mängel, und das ist kein besonderes Vergnügen. Da fällt einem dann auf, dass man zu viel schauspielert. Ich fand zum Beispiel, dass Isabelle Huppert, die ich für eine großartige Schauspielerin halte, in "Amour" manchmal zu viel schauspielert. Das habe ich ihr auch gesagt, und sie wusste, was ich meinte.

Und Ihre alten Filme? Schauen Sie die nie an?
Nein. Ich schau’ nicht in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft – obwohl meine Zukunft sehr schmal geworden ist. Meine Zukunft ist der Tod.

Sie wollen immer noch sterben?
Eigentlich schon (lacht trocken) . Andererseits muss ich zugeben, dass ich gerade mit Haneke mittaggegessen habe und ihn bat, mir in seinem nächsten Film wieder eine Rolle zu geben – auch wenn es nur eine kleine ist. Er hat es mir versprochen, und ich freue mich darauf.

Sie haben Enkelkinder. Lenken Sie die nicht auch vom Tod ab?
Ja, schon. Meine Tochter hatte vier Kinder mit vier verschiedenen Männern, und sie ist vor nicht allzu langer Zeit gestorben (Marie Trintignant wurde 2003 von ihrem Freund erschlagen, Anm.) . Ich versuche mein Bestes, mich um die Kinder zu kümmern, aber ich bin kein besonderes guter Großvater. Ich war ein besserer Vater, besonders zu meiner Tochter, die ich sehr geliebt habe. Mein Sohn hat sich bei mir beschwert, dass ich ihm nicht genug Liebe gegeben habe, und ich sagte zu ihm: "Verzeih mir, ich habe meine ganze Liebe deiner Schwester geschenkt. Mehr hatte ich nicht."

Heuer mehrt sich zum 30. Mal der Todestag von Romy Schneider. Was haben Sie für Erinnerungen an Sie?
Wir haben vier oder fünf Filme miteinander gedreht. Sie war sehr großzügig und ich mochte sie sehr, sowohl als Schauspielerin, als auch privat. Sie hatte nur einen Makel – wenn man das überhaupt einen Makel nennen kann: Sie hatte nicht besonders viel Humor.

Interessieren Sie sich für Politik? Was sagen Sie zu den Wahlen in Frankreich?
Ich bin aufseiten der Linken. Meiner Meinung nach geht jede Art von sozialem Fortschritt von der Linken aus. Ich glaube, dass jeder, der Menschen mag, immer nur links sein kann.

Trintignant: "Krampfhaft schüchtern"

Durchbruch: Jean-Louis Trintignant, geboren 1930 in Piolenc, Vaucluse, Frankreich, entstammt einer provenzialischen Industriellenfamilie. Angeblich besuchte er die Schauspielschule, um seine "beinahe krankhafte Schüchternheit" zu überwinden.

Seinen Durchbruch erzielte er mit Roger Vadims Film "Und immer lockt das Weib" (1956), in dem er den verklemmten Ehemann von Brigitte Bardot spielt.

Karriere: Jean-Louis Trintignant brillierte als Rächer in Sergio Corbuccis Italowestern "Leichen pflastern seinen Weg" (1968). 1969 wurde er für seine Darstellung eines Untersuchungsrichters in Costa-Gavras` "Z" in Cannes ausgezeichnet. In den 1970er-Jahren zählte er zu den gefragtesten Schauspielern Europas. Zu seinen bekanntesten Filmen gehört "Das wilde Schaf" (1973) mit Romy Schneider.