Filmzensur: China kippt eigene Kinohits
Von Alexandra Seibel
Offiziell lautet die Begründung meist „technische Probleme“. Inoffiziell handelt es sich meist um Zensur. Die Rede ist von der chinesischen Filmindustrie, deren Zensurbehörde den heimischen Filmemachern die Daumenschrauben zunehmend enger dreht.
Anfang des Jahres hätte der chinesische Star-Regisseur Zhang Yimou seinen neuen Film „One Second“ auf der Berlinale in Berlin präsentieren sollen. So stand es im Programm angekündigt. In letzter Minute wurde die Vorstellung abgesagt – aufgrund von „technischen Problemen“, wie es von offizieller Stelle verkündet wurde. Tatsächlich aber konnte man davon ausgehen, dass Zhang Yimous Sicht auf die chinesische Kulturrevolution, von der sein neuer Film erzählte, bei der kommunistischen Führungsspitze nicht gut angekommen war.
Ähnlich erging es dem mit großer Spannung erwartetem Jugenddrama „Better Days“ von Hongkong-Regisseur und Schauspieler Derek Tsang Kwok-cheung: Auch dieser, mit chinesischen Jungstars besetzte Film konnte seine angekündigte Premiere auf der Berlinale nicht feiern; angeblich gab es Probleme in der Postproduktion. In jedem Fall hatten die chinesischen Behörden die nötigen Zustimmungen verweigert, um ihn in Berlin zeigen zu können. Doch damit nicht genug: Nun wurde der Ende Juni in China geplante Filmstart von „Better Days“ ebenfalls abgesagt. Die Vermutung liegt nahe, dass die realistische Darstellung von Mobbing und sexueller Belästigung den Auflagen der Zensurbehörden nicht entsprochen haben.
Patriotisch
Doch „Better Days“ steht nicht alleine da. Einen ähnlichen Öffentlichkeitsbann erleidet gerade der erstmals mit IMAX-Kameras gedrehte, chinesische Film „The Eight Hundred“ von Guan Hu. Das patriotische Historiendrama hätte das prestigeträchtige Filmfestival in Shanghai eröffnen sollen. Doch dann fand die Eröffnung ohne Eröffnungsfilm statt. Der offizieller Grund?
„Technische Probleme.“
Wie das US-Branchenblatt Variety berichtete, schickte diese rigorose Zensurmaßnahme eine Schockwelle durch die chinesische Filmszene und ließ alle Beteiligten bestürzt und wütend zurück. Der profilierte chinesische Autorenfilmemacher Jia Zhangke postete auf Weibo, dem chinesischen Twitter-Dienst: „Das könnt ihr der chinesischen Filmindustrie nicht antun.“ Seine Aussage wurde vielfach landesweit retweetet, ehe Internet-Regulatoren die empörten Reaktionen im Netz zum Schweigen brachten.
„The Eight Hundred“ war von Huayi Brothers Media produziert worden, das zu Chinas ältesten und renommiertesten Privatstudios zählt und mit ihrem 80 Millionen Dollar schweren Kriegsfilm einen veritablen Sommer-Hit landen wollte. Diesen Wunsch kann es sich vorerst abschminken. Hochrangige ehemalige Mitglieder des Militärs und des Partei-Kader hatten sich Anfang Juni versammelt und sich darauf geeinigt, dass es „inakzeptabel“ sei, wie „The Eight Hundred“ die chinesische Geschichte darstelle.
Schlacht
Konkret geht es um eine wichtige Schlacht, die während des chinesisch-japanischen Krieges 1937 in Shanghai stattfand. Eine Gruppe von chinesischen Kämpfern wehrte sich heroisch gegen die Japaner – und diese Auseinandersetzung wurde mithilfe von amerikanischen Experten für Actionsequenzen und Spezialeffekten möglichst packend inszeniert.
Allerdings befanden die ehemaligen Militärs, dass die Mitglieder der Nationalen Volkspartei (die damals Shanghai kontrollierten) unter der Führung von Chiang Kai-shek weit heroischer wegkommen als Maos kommunistische Partei.
Diese historische „Fehldarstellung“ dürfe man nicht unterstützen, hieß es. Schon gar nicht während des 70. Jubiläumsjahres der Volksrepublik China: Gerade im Zuge der Feierlichkeiten waren die Zensurbestimmungen deutlich verschärft worden.
Nun stellt sich natürlich die Frage, wie es die Drehbücher und deren Produktion überhaupt solange durch den Behördengang geschafft haben, nur um dann als fertiger Film letztlich doch noch zurückgewiesen zu werden?
Offensichtlich genügt es nicht, wenn eine Filmproduktion einmal grünes Licht erhalten hat. Selbst bei hohen Budgetkosten reicht der Einspruch einzelner, hochrangiger Persönlichkeiten aus, um ein Projekt zu stoppen.
Was bedeutet dieser scharfe, ideologische Wind innerhalb der chinesischen Filmindustrie nun für die Amerikaner?
Es ist kein Geheimnis, dass gerade China (und Russland) in den letzten Jahren einen überaus begehrten Absatzmarkt für die US-Filmindustrie darstellen. Und natürlich herrscht reger Geldfluss zwischen amerikanischen und chinesischen Filmstudios. Die Stornierung eines Blockbusters wie „The Eight Hundred“ heißt für Hollywood zuerst einmal, dass die unmittelbare Konkurrenz für die eigenen Produkte schrumpft. „Spider-Man: Far from Home“ könnte dadurch in China mehr Geld einfahren, als wenn ihm ein chinesischer Film die Aufmerksamkeit wegschnappen würde.
Umgekehrt muss man sich schon fragen, wielange Hollywood bereit ist, über Chinas Zensurmethoden und deren kreative Einschränkungen hinwegzusehen. Doch liegt viel Geld am Tisch, ist die Toleranzgrenze bekanntlich meist sehr hoch.