Erster Roman von Tanja Raich: Jesolo sollte das Ende sein
Von Peter Pisa
Man wartet seit Jahren auf einen Kriminalroman, der in Jesolo spielt, mit vergifteten Cozze in der Via Aquileia und einem Wiener Kommissar, der sich im Lunapark in die Tiefe stürzt, weil er im Urlaub einen „Kick“ braucht ... den er dann aber auch am Strand bekommt, wenn sein kleiner Sohn den Schädel des Barkeepers vom Hotel Vidi ausbuddelt.
Oder so ähnlich.
Tanja Raichs „Jesolo“ will damit nicht in die Literaturgeschichte eingehen. Durchaus verständlich.
Für sie ist Jesolo der Ort, an dem Andrea zu zweifeln begonnen hat. An dem alles ein Ende haben sollte.
Denn: „Sie“ liest, „er“ schnarcht, jemand ruft „coco bello“, dann liest sie, und er schnarcht, und sie will ins Wasser, und er will schlafen, und am Abend macht er mit dem Kellner ein Theater („Ich verstehe nicht, warum du ständig mit anderen reden musst“). Sie fragt sich, ob sie mit Georg alt werden will.
Hackbeil
Bis eines Tages in Wien der Gynäkologe sagt: „Wir sind schwanger.“
„Wir“ ist gut. Ist nicht schlimm genug, dass sie von Georg schwanger ist? Aber sie haben sich dann wieder lieb, er streichelt ihren Bauch, und sie überlegen, ob ihr Kind Pilotin werden soll oder Basketballspieler.
Tanja Raich – Südtirolerin, seit 2005 in Wien, Foto oben – trifft den Ton wie mit einem Hackbeil. Das ist es: Sie hackt ins Leben – sie schlägt voll ins Ungewisse. Es gibt keinen sicheren Ort, ho ruck.
Andrea begibt sich in eine Welt, von der sie nichts weiß. Das ist wie in die Tiefsee tauchen. Sie träumt: Sie sitzt mit Georg in der Achterbahn und hat das Gefühl, nicht angeschnallt zu sein.
Das ist nicht so falsch: Georgs Eltern sind reich. Sie werden für eine Wohnung am Waldrand sorgen. Die Schwiegermutter wird immer in der Nähe sein und anklopfen. Der Schwiegervater geht mit seinem Sohn ins Wirtshaus – danach ist Georg so anders und redet dummes Zeug; vom Boot, das voll ist. So könne es nicht mehr weitergehen, sagt er. Andrea wundert sich: So hat er doch früher nicht gedacht!
„Jesolo“ ist nichts Besonderes. Das Thema ist wirklich nicht neu. Man könnte sagen: Vieles kommt einem sehr bekannt vor – selbstverständlich nur aus dem Bekanntenkreis.
Der mangelnde „News“-Wert wird wettgemacht. Tanja Raich arbeitet nämlich als Lektorin in einem Verlag. Sie weiß, wie störend zu viele Wörter sind. Diesen Fehler macht sie nicht.
Sie verunsichert – und zieht sich rasch zurück.
Und nächstes Jahr in Jesolo wird man zu dritt sein. Ist eh schön dort.
Tanja Raich:
„Jesolo“
Blessing Verlag.
224 Seiten.
20,60 Euro.
KURIER-Wertung: ****