Kultur

Ein Jahrgang, schlimm wie noch nie

Vor 51 Jahren nahm Gitte Hænning am nationalen Finale der dänischen Vorentscheidung zum Eurovision Song Contest mit dem Song „Jeg snakker med mig selv“ teil. Dieser Song wurde jedoch disqualifiziert, weil Gitte ihn in der Kantine des dänischen Rundfunks pfiff, was den damaligen Statuten widersprach, nach denen die Beiträge in keiner Form vor dem Wettbewerb zur Aufführung gebracht werden durften.

Ein Schicksal, das man nahezu allen Teilnehmern des heurigen Song Contests wünscht, weil der Jahrgang so schlimm wie noch nie ist. Woran liegt das?

"Es ist das große Ganze, einem furchtbaren Verkehrsunfall nicht unähnlich, der uns fasziniert ..."


Eine Theorie ist, dass die haushohe Vorjahressiegerin Loreen mit dem Schmachtfetzen „Euphoria“ eine zu große Vorgabe ist, die noch heute jeder läufige Hund mitzujaulen imstande ist, dass man nur resignieren kann, und irgendeine halb gare Ausschussware abliefert. Oder man versucht das erfolgreiche Konzept lauwarm zu kopieren, was naturgemäß in die Hose gehen muss, wer will schon etwas Lauwarmes in der Hose haben?

Vielleicht hat es aber auch mit dem Austragungsort zu tun. Schweden, bekanntlich das langweiligste Land Europas, voller ängstlicher Bewohner, die unter einem perfiden Überwachungsstaat zu leiden haben, eine Nation, deren einzige kulturelle Leistung von Relevanz, ein geniales Konstrukt namens ABBA, gar nicht von Schweden ist, nicht mal von Menschen, sondern, wie man vermutet, nur von Außerirdischen sein kann. Dass diese Sendboten aus fernen Galaxien 1974 den Song Contest nur ganz knapp gewannen, und dass ihre globale Karriere danach noch etwas brauchte um durchzustarten, mag dem Umstand geschuldet sein, dass unsere Welt noch nicht reif war für Außerirdische, die uns mit schrillen Stimmen und Kostümen knapp oberhalb der Schmerzgrenze über fast eine Dekade im Klammergriff halten soll.

Aber jeder Song Contest ist ja mehr als die Summe seiner einzelnen Lieder, es ist das große Ganze, einem furchtbaren Verkehrsunfall nicht unähnlich, der uns immer wieder aufs neue fasziniert zusehen lässt, eine große irisierende Seifenblase, man kann sich irgendjemanden heraussuchen, dem man seine Sympathien schenkt, oder mit diebischer Freude hoffen, dass Zwergstaaten wie Andorra oder San Marino gewinnen, die dann bei der Siegerfeier kleinlaut auf den Preis verzichten, weil sie die Schlagerparty nächstes Jahr finanziell gar nicht zu stemmen in der Lage sind.

"Man kann mit diebischer Freude hoffen, dass Zwergstaaten wie Andorra oder San Marino gewinnen."


Und immer wieder kommt es zu bizarren Auftritten, nachdem letztes Jahr russische Greisinnen auf der Bühne ein Brot gebacken haben, und mit der Nummer gar nicht mal schlecht abschnitten, ist heuer der armenische Beitrag von Interesse, ihn schrieb Tony Iommi, Gitarrist und Gründungsmitglied der Metal-Band Black Sabbath.

Chancenlos zwar, aber gut für eine Anekdote. So wie die von der pfeifenden Gitte.